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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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»Schnell einladen!«
    Im Gedränge war es den Sanitätern nicht möglich, mit der Tragbahre durchzukommen. Sie trugen die Frau mit den Händen zum Auto.
    »Ausweichen, ausweichen«, schrie der Fahrer. Er betätigte das Signalhorn. Als sie die Frau verladen hatten, warfen sie uns die Einweghandschuhe vor die Füße. Sie waren die Feineren. Wir hatten die Dreckarbeit zu erledigen, dann kamen sie und machten sich in der Scheiße wichtig. Rettungsleute sind meistens Angeber. Das ist meine Erfahrung. Aber sie hatten uns die Kobra gebracht. Die wurde aktiv, sobald das Rettungsauto sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Und sie machte ihrem Namen alle Ehre. Sie biß wild um sich. In kürzester Zeit waren die Chaoten der ersten Reihen zu Boden gekrümmt. Das ging zack, zack. Wie Dominosteine fielen die um. Kein Schlagstock, kein Schild, nichts, einfach mit der Faust in den Magen und mit der Handkante ins Kreuz. Und wir Revierinspektoren standen blöd da mit unseren Schilden. Eben waren wir noch in schlimmster Bedrängnis gewesen, plötzlich hatten wir nichts mehr zu tun. Es war einfach herrlich, der Kobra zuzuschauen. Kein Geschiebe und Gestoße mehr. Ein paar kräftige Hiebe, die ersten Reihen wurden gefällt, und die anderen liefen davon. Man konnte neidisch werden. Plötzlich merkten wir, daß Bögl-Formation und all die anderen Taktiken, die wir hin und wieder geübt hatten, nur dazu dienten, die Wahrheit zu verbergen: Wir waren ausgebildet im Kinderwagen- und Rollstuhltragen, konnten uns vielleicht noch ganz gut helfen bei Wirtshausraufereien, hatten alle Jahre eine Schießübung zu absolvieren, aber im Kampf auf der Straße waren wir Nieten.
    Und doch blitzte da mit einemmal auch eine Hoffnung auf. Die Kobra war in der Lage, uns aus der Scheiße rauszuholen. Dieser kleine Trupp war effektiver als eine ganze Kompanie Revierinspektoren aus Graz, auf die wir immer noch vergeblich warteten. Da wurde nicht lange gefackelt, die mähten sich einfach durch, und wer noch nicht am Boden lag, nahm die Beine in die Hand. Ich war fassungslos und hellauf begeistert. Asterix und Obelix, dachte ich. Da gibt es eine Polizeigruppe, die in der Lage ist, ein Ende zu machen mit unseren Nöten. Der Kampf konnte nicht nur heute, er konnte für immer entschieden werden. Diese unerträgliche Aufsässigkeit der Giftler, Chaoten, Arschficker, Sandler, und was sonst sich noch an Gesindel in der Karlsplatz-Passage herumtrieb, war beendbar. Es gab Mittel dagegen, und, ich konnte es kaum fassen, es war sogar möglich, sie anzuwenden. Ein neuer Rettungswagen wurde bestellt.
    Da krachte es plötzlich. Ein heller Knall. Ich wußte sofort, es war ein Schuß. Vor ein paar Minuten hatte ich geradezu gewartet darauf. Aber jetzt wollte ich es nicht glauben. Wer schießt da, die unseren oder die anderen? Der Knall war aus der Richtung Musikverein, Künstlerhaus gekommen, aus jener Gegend, von der aus die Grenzschützer versuchten, zu uns durchzukommen. Haben sie geschossen? In solchen Situationen kann man alles gleichzeitig denken. Ich überlegte, was von einem Dach auf die Straße gefallen und ein solches Geräusch verursacht haben könnte. Es ist komisch, ich hatte, so wie meine Kollegen, sofort den Knüppel weggesteckt und die Pistole aus dem Halfter gezogen, aber ich dachte darüber nach, welchen Grund es geben könnte, damit wir jetzt nicht schießen müßten. Ich habe nie gerne geschossen. Das können Sie mir glauben. Als Kind habe ich immer zugesehen, wenn mein Vater mit dem Flobertgewehr eine Sau erschossen hat. Viermal im Jahr war das. Es hat mich fasziniert, daß man die Sau töten konnte, ohne sie berühren zu müssen. Mein Vater drückte auf den Abzugshahn, es krachte nicht einmal sonderlich laut, die Sau hatte plötzlich ein schwarzes Loch zwischen den Augen und fiel um. Einmal habe ich geträumt, ich sei eine Sau. Mein Vater zielte auf mich, aber ich konnte ihm nicht verständlich machen, daß ich sein Sohn bin. Ich muß geschrien haben, weil meine Mutter mich weckte. »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Ist ja schon gut. Du hast nur geträumt.«
    Später, als ich schon in die Polizeischule ging, habe ich ein paarmal die Sau erschossen. Das ist schon ein komisches Gefühl. Weil die Sau so unschuldig ist und einem absolut nichts getan hat. Zuerst füttert man sie, pflegt sie, redet mit ihr. Eines Tages schießt man sie einfach tot und ißt sie. Eigentlich finde ich das brutaler, als auf Verbrecher zu schießen. Die könnten sich ja anständig

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