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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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seiner eigenen Aufgabe, auf die er sich gründlich vorzubereiten hatte, langsam vertraut gemacht. Ich hatte eine große Reisetasche aus steifem Kunstleder zu besorgen. Ich sollte mich vorher in Kaufhäusern umsehen, welche Sorte es besonders häufig gab. Und dann hatte ich auch noch einen einsam gelegenen Schotterteich ausfindig zu machen. Er sollte nicht zu weit von Wien entfernt und mit dem Auto gut und unauffällig erreichbar sein. Wofür die anderen zuständig waren, wußte nur der Geringste. Vielleicht auch Feilböck. Jedenfalls wußte er mehr als die anderen Eingeweihten. Feilböck war damals die rechte Hand des Geringsten. Und sein einziger Kritiker. Feilböck war altmodisch. Er wollte alles diskutieren. Er verlangte nach Zusammenkünften wie früher.
    »Nenne es von mir aus Kommunion«, sagte er zum Geringsten während einer Kommunion in einem aufgelassenen Fabriksgelände in Floridsdorf. »Hauptsache, wir treffen einander und können über alles reden.«
    »Nein«, antwortete der Geringste. »Zusammenkünfte gibt es nur, wenn sie strategisch unbedingt nötig sind und wenn wir einen absolut sicheren Ort dafür finden.«
    Darüber, daß er das letzte Wort hatte, gab es keinen Zweifel, und so wurden Feilböcks Einwände nicht weiter besprochen. Der Geringste traf uns vor allem zu Einzelgesprächen. »Einzelabspeisungen«, nannte Feilböck das später. Wann und wo diese stattfanden, erfuhren wir immer erst knapp davor. Wer vom Geringsten die Botschaft erhielt, machte sich frei, egal, was er gerade vorgehabt hatte. Immer noch gab es die fingierten Suchanzeigen, aber auch mündliche Botschaften, die einer, der vom Geringsten kam, dem Betroffenen bestellte. Wenn die Suchanzeigen nur für einen einzelnen bestimmt waren, war das Wort Telefon mit Großbuchstaben geschrieben. Solche Zettel tauchten natürlich nie an der Baustelle auf, da wir sonst nicht gewußt hätten, wer gemeint ist.
    Eigentlich hätte es, um Harmagedon nicht zu gefährden, keine privaten Zusammenkünfte von Eingeweihten geben sollen. Es stellte sich aber heraus, daß Begegnungen kaum zu vermeiden waren. Der Lange war Kellner im Restaurant eines Großkaufhauses in der Mariahilferstraße. Pandabär arbeitete in einem Schallplattengeschäft in der Neubaugasse, also gleich um die Ecke. Wir wiederum, der Bautrupp, wie man uns nannte, sahen einander ohnedies jeden Tag. In der Zeit, als wir zu Entschlossenen wurden, renovierte unsere Firma gerade das Apollo-Kino. Ich meldete mich zu dieser Baustelle, als technischer Assistent des Baumeisters. Als ich in der Früh zum Gerüstbau eintraf, standen dort auch der Polier und der Blade. Auch sie hatten sich zu dieser Baustelle gemeldet, ohne daß wir das vorher abgesprochen hatten. Das Apollo-Kino liegt in der Nähe der Mariahilferstraße. Offenbar hat es jeden von uns in diese Gegend gezogen, wo die Wahrscheinlichkeit, einen anderen Entschlossenen zu treffen, am größten war.
    Wem sollte schon etwas auffallen, dachten wir, wenn wir, meist nicht einmal gemeinsam, ein paarmal die Woche in das Großkaufhaus zum Mittagessen gingen. Wer wollte es Kollegen verargen, an einem gemeinsamen Tisch zu sitzen? Das Selbstbedienungsrestaurant war zur Sportabteilung hin offen. Die orange Farbe der Wände und Sitzbezüge zog die Kaufhauskunden an. Aber kaum hatten sie ihr Essen geholt und sich an einen Tisch gesetzt, hielten sie die Farbe nicht mehr aus und gingen so schnell wie möglich ins Kaufhaus zurück. Man erreichte das Restaurant entweder direkt mit dem Aufzug oder mit der Rolltreppe durch die Sportabteilung. Dienstags und donnerstags räumte ein uns bekannter, äußerst freundlicher Herr von den Tischen die Tabletts ab. Montags, mittwochs und freitags saß eben dieser Herr an der Kassa und gab uns unauffällig Rabatte, weshalb wir uns vor allem an diesen Tagen trafen.
    Bei solchen Treffen sprachen wir niemals über den Geringsten. Wir schlossen nicht aus, daß wir beobachtet oder belauscht wurden. Aber selbst, wenn wir uns sicher gefühlt hätten, wäre ein Gespräch über den Geringsten nicht möglich gewesen. Jeder meinte, die anderen stünden ihm näher, wüßten über seine Verbindungen genauer Bescheid, seien womöglich in die Informationsbeschaffung eingebunden. Da ich damals so wenig von Harmagedon wußte, dachte ich, der Geringste traue mir nicht ganz. Ich erzählte ihm alles, schon allein um dieses spürbare Mißtrauen abzubauen. Aber ich ging davon aus, daß auch die anderen dem Geringsten alles erzählten.

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