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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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benehmen, dann würde niemand auf sie schießen. Aber die Sau hat keine Chance.
    Die Chaoten begannen, nach allen Richtungen zu laufen. Da krachten erneut Schüsse, vier, fünf hintereinander. Diesmal auf der Seite der Sezession. Kurz war es, als ob alle den Atem anhalten würden. Und wieder zwei Schüsse. Dann begann ein lautes Geschrei, ein Durcheinander von umherlaufenden Menschen und Stimmen, die langsam wieder zum Sprechchor zusammenfanden, der lauter und lauter wurde und sich selbst neue Kraft gab: »Mörder! Mörder! Mörder!« Erneut stürmte eine Gruppe auf uns zu, mit diesem »Mörder-Mörder‹‹-Geschrei im Mund, und da war uns mit einemmal klar, daß unser Trupp in Wirklichkeit bisher verschont worden war. Plötzlich prasselten nicht nur Steine auf uns nieder, Latten und Bierflaschen, es regnete auf einmal Molotow-Cocktails. Wir gingen hinter den Schilden in Deckung. Mitten in einem Feuerball. Wir liefen auseinander. Ich schlug auf einen Kollegen ein, dessen Rücken brannte. Ein anderer Kollege lag am Boden und schrie um Hilfe. Unser Truppleiter schoß in die Luft. Wir taten es ihm gleich. Ich feuerte das ganze Magazin leer.
     
    Der Ingenieur
    Sechstes Band
     
    Meist traf ich den Geringsten in der Nacht – wenn das Wetter es zuließ, im Freien, aber auch in Gasthäusern. Häufig sogar in Ausländergasthäusern am oder in der Nähe des Gürtels. Inmitten von Serben, Kroaten, Bosniern, Mazedoniern, Montenegrinern, Slowaken, rumänischen Zigeunern. Speisekarten voller Rechtschreibfehler und Gaststuben, in denen kein Wort deutsch gesprochen wurde, hatten auf den Geringsten eine magische Anziehungskraft. Er nannte das Feldforschung. Das Lesen der Speisekarte nannte er Quellenstudium. Nach seiner Wiederkunft habe ich ihn kein einziges Mal lächeln sehen. Er war immer ernst und distanziert. Und konzentriert. Doch in diesen ausländischen Gasthäusern wurden seine Gesichtszüge weicher. Es schien, als würde er sich ausgerechnet hier wohl fühlen. Manchmal, wenn er sich zurücklehnte, der Musik lauschte und die Menschen beobachtete, war mir, als würde er auf seine kaum bemerkbare Art lächeln. Mir fiel auf, daß sich in diesen Gasthäusern die Männer immer kannten. Oft berührten sie einander, legten eine Hand auf die Schulter des Nachbarn. So saßen oder standen sie zusammen – und heckten Pläne aus. Das war ihnen deutlich anzusehen. Manchmal waren sie sich uneinig und wurden laut. Dann wieder warfen sie uns scheele Blicke zu oder sprachen uns in fremden Sprachen an, als wollten sie sich überzeugen, daß wir auch wirklich nichts verstanden. Es kam auch vor, daß sie uns zuprosteten oder uns einluden, mit ihnen zu trinken. Der Geringste blickte sie an und schüttelte den Kopf.
    »Wir werden bringen unser Werk zu Ende«, sagte er gerade so leise, daß sie ihn nicht hören konnten, »bevor eure Ernte aufgeht. Wir werden euch jagen über die Ostautobahn zurück in eure Dörfer. Dort könnt ihr dann konspirieren nach Lust und Laune und verkaufen den Negern eure Zwiebel.«
    Zur Kellnerin, die uns zwei Radenska brachte, sagte er: »Was immer wir tun, tun wir für euch.«
    Sie lachte.
    »Aber seid vorsichtig. Unsere Mann sind sehr eifersichtig.«
    Der Geringste war allwissend. Er hatte, das wurde uns nach und nach klar, beste Kontakte zur Polizei. Von wem er Informationen erhielt und wie die Verbindung zustande gekommen war, wußte ich damals noch nicht. Allem Anschein nach war es eine gute Quelle mit einem verläßlichen Zufluß aus der Abteilung von Reso Dorf. Als der Geringste die ersten Andeutungen machte, daß Harmagedon etwas mit dem Wiener Opernball zu tun haben könnte, war er über die Sicherheitsvorkehrungen bestens informiert. Er kannte die Kompetenzverteilung innerhalb der Exekutive, und er kannte die Zuständigkeiten bei der Staatspolizei. Er wußte, welche Beamte für uns ein Auge zudrücken würden und welche scharf auf uns waren. Nur einen Namen nannte er uns, Major Hofrat Dr. Leitner. Das war ein Polizeijurist. Nach ihm sollten wir im Falle einer Verhaftung verlangen.
    Wir benötigten ihn nicht. Es gab keine Verhaftungen. Wir waren über die Maßen vorsichtig. Daß wir einander nicht treffen durften, verband uns mehr, als wenn wir ständig zusammengehockt hätten.
    Von Anfang an lud der Geringste nur selten zur Kommunion. So nannte er jetzt die gemeinsamen Treffen.
    »Jede Gemeinsamkeit ist eine Risiko«, sagte er. Wir kannten den Harmagedon-Plan nur in groben Umrissen. Aber jeder wurde mit

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