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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Figur darstellen. Aller Wildwuchs an ihm ist auszumerzen. Wenn nur eine Daumenbreite von ihm sichtbar wird, muß jeder sofort seine riesige, bedrohliche Gestalt vor sich sehen und darf eine Schrecksekunde lang nichts anderes denken als: Das ist er. Um in der nächsten Sekunde erleichtert aufzuatmen: Endlich zeigt er sich. Auf, ans gemeinsame Werk! Aber so, wie Harmagedon sich entwickelt, wird der Feind seine ganze Brust entblößen, und die Menschen werden darüber streiten, wer er ist. Nur dann kann der Feind sich zeigen, wenn sein Bild schon anwesend ist.«
    »Was heißt das«, fragten wir scheinheilig. »Heißt das, wir müssen auf Dich verzichten?«
    »Nein, das heißt es nicht«, sagte er. Ausdrücklich betonte er das noch einmal: »Ich bin voll und ganz dabei. Wir bilden eine eherne Faust. Was ich Euch seit Wochen klarmachen will, hat nichts mit Harmagedon selbst zu tun. Aber die eherne Faust ist zuwenig. Wir müssen wie ein Boxer mit zwei Fäusten arbeiten. Die eine, die starke, bleibt in Deckung und bereitet den entscheidenden Schlag vor. Soweit sind wir. Was uns fehlt, ist die andere Faust, die den Gegner reizt und herausfordert, die ihn auf Touren bringt und aus der eigenen Deckung lockt, die den Gegner erst zum Gegner macht. Lange vor dem entscheidenden Schlag sollten die Leute schon wissen, hier findet ein Kampf statt. Dann der Schlag – und das ist der Sieger. Die Menschen laufen nur Siegern nach.«
    »Wir werden die Sieger sein«, warfen wir ein. »Wir werden den Gegner vernichten. Genau darum geht es doch.«
    »Das Geniale am Plan des Geringsten«, sagte Feilböck, »besteht darin, daß unser Schlag als solcher unsichtbar sein wird. Er wird sichtbar in verkleideter Gestalt, als barbarischer Schlag gegen unschuldige Menschen. Mit diesem Trick werden wir den Gegner aus der Arena fegen. Aber gerade deshalb können wir uns nicht danach hinstellen und behaupten: Wir sind die Sieger. Die Menschen müssen uns kämpfen sehen. Und sie müssen den Feind, den unser Schlag demaskiert, verjagen. Nicht wir selbst, sondern das Volk muß uns zum Sieger erklären, weil es von halbherzigen Lösungen genug hat. Die Menschen werden erkennen, daß das eingetreten ist, wovor wir immer schon gewarnt haben: Der demokratische Wildwuchs führt in die Katastrophe.«
    Ich nahm mir ein Herz und sagte: »Feilböck, Du hast den Eid gebrochen.«
    »Ich weiß«, antwortete er, »ich habe den Eid gebrochen. Doch nur, um den Sinn des Eides zu retten, den Sieg des Dritten Reichs der weißen Völker.«
     
    Claudia Röhler, Hausfrau
    Erstes Band
     
    Immer, wenn um fünf Uhr früh das Telefon klingelte, wußte ich, das ist mein Vater. Es war eine nervende Angewohnheit von ihm. Offenbar galt alle paar Tage, mindestens einmal in der Woche, sein erster Gedanke mir. Ich weiß nicht, ob er auch andere so früh anrief. Meine Schwester jedenfalls nicht. Einmal hob ich nicht ab. Da rief er dann am Nachmittag an und war beleidigt. Richtig gekränkt, wie ich ihn selten erlebt habe.
    So weit ich mich erinnere, war mein Vater immer schon in aller Früh in seinem Arbeitszimmer. Niemand durfte ihn stören. Beim Aufstehen mußte ich an seinem Arbeitszimmer vorbeischleichen. Manchmal, wenn ich ein Geräusch hörte, blieb ich an der Tür stehen. Er ging auf und ab. Unter seinen schweren Schritten knarrte der Boden, in ganz gleichmäßiger Folge, vom Schreibtisch zur Tür und wieder zurück. Wie ein Tiger in einem Käfig. Meine Mutter winkte, als könnte ich ihn irritieren, wenn ich vor der Tür stehe.
    »Laß ihm seine Ruhe«, flüsterte sie, »er denkt nach.«
    Das Badezimmer roch nach Eau de Cologne. Er rieb sich jeden Morgen das Gesicht damit ein. Um Viertel nach sieben, bevor ich zur Schule aufbrach, klopfte ich an seine Tür, um ihm einen Abschiedskuß zu geben. Er küßte mich nicht, sondern er hielt seine frisch rasierten Eau-de-Cologne-Wangen zu mir herab, die ich beidseitig mit meinem Mund berührte. Hatte ich die Lippen nicht ganz eingezogen, spürte ich danach, während ich mit der Schultasche die Stiegen hinabging, einen bitteren Geschmack.
    Als er mich in Frankfurt anrief und in aller Herrgottsfrüh sagte, er wolle uns zum Opernball nach Wien einladen, habe ich ihn brüskiert.
    »Wir gehen doch nicht zum Opernball! Was sollen wir dort? Herbert wird davon bestimmt nicht begeistert sein, und mir gefällt der Gedanke, ehrlich gestanden, auch nicht.«
    Herbert lag neben mir und schüttelte den Kopf. Aber Vater ließ nicht locker. Ein paar Tage

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