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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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an der hoffnungslosen Lage, in der sich seine Mutter befinden mußte. Sie lag mehrere Tage im Koma, dann wurden die Geräte abgeschaltet. Sie war mit dem Auto von der schmalen, unübersichtlichen Zufahrt zu ihrem Haus in Litzlberg am Attersee auf die Hauptstraße hinausgefahren und von einem Lastzug erfaßt worden. Die Mutter wurde im Auto zerquetscht. Auch wenn sie den Unfall überlebt hätte, hätte sie keine Chance gehabt, das Bett je wieder zu verlassen. Sie war noch keine vierzig Jahre alt.
    Eine Woche nach dem Begräbnis stand der Geringste in der Prälatur von Kremsmünster, um sich von seinem Lehrer zu verabschieden. Der Abt konnte ihn keinen Tag länger halten. In seinem Manuskript beschrieb er das etwa so: »Meinen Vater habe ich verehrt, die Mutter jedoch geliebt. Einen Koffer mit Kleidern und Wäsche in den Händen, mit einem unerschütterlichen Willen im Herzen, fuhr ich nach Wien. Was dem Vater fünfzig Jahre vorher gelungen, hoffte auch ich dem Schicksal abzujagen; auch ich wollte etwas werden, allerdings – Schriftsteller und auf keinen Fall Beamter.«
    Das Manuskript müßte es irgendwo geben. Er hat es sicher nicht in der Wohllebengasse zurückgelassen. Vielleicht ist es von der Polizei beschlagnahmt worden, weil am Schluß alles überraschend kam.
    Als der Geringste nach Wien fuhr, war er ein Nichts. Er hatte keine abgeschlossene Ausbildung. Eine Waisenrente sicherte ihm das Überleben. Zwar gab es eine Erbschaft zu erwarten – es war vor allem das Haus am Attersee, in das der Vater all sein Erspartes hineingesteckt hatte –, aber der Geringste hatte darauf keinen Zugriff. Er war siebzehn Jahre alt, also noch nicht volljährig.
    Er suchte in Wien eine Wohnung, und er suchte Arbeit. Beides war nicht zu finden. Es herrschten katastrophale Zustände. Wurde eine Wohnung zu erschwinglichen Preisen vermietet, mußte man bei Vertragsabschluß unterderhand zweihundert- bis dreihunderttausend Schillinge als Ablöse zahlen. Konnte man sich, so wie der Geringste, keine Ablöse leisten, blieben zwei andere Möglichkeiten. Die eine schied aus. Ablösefreie Wohnungen waren zwar gewöhnlich in gutem Zustand, die Monatsmiete wäre aber höher gewesen als die Waisenrente. Blieb nur noch der illegale Wohnungsmarkt.
    Fünf Nächte lang wanderte er durch Wien und traf dabei auf die unterschiedlichsten Gruppen von Obdachlosen. Alle stanken sie nach Alkohol, selbst diejenigen, die sich Heroin spritzten. In der fünften Nacht schlief er übermüdet auf einer Bank im Stadtpark ein. Als er aufwachte, war seine Reisetasche verschwunden. Er wusch sich im Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz und fragte den ganzen Tag lang jeden, den er traf, ob er ein Quartier für ihn wisse. Eine Ausländerin gab ihm schließlich eine Adresse.
    Dieses Haus am Lerchenfeldergürtel, in dem der Geringste fast zwei Jahre lang wohnte und in dem er die Bewegung der Volkstreuen gründete, wurde von uns in der Nacht, nachdem er ausgezogen war, abgefackelt. Was ein Fehler war, nicht nur weil die Polizei sehr schnell unsere Spur aufnahm. Persönliche Rache zu nehmen, erkannten wir später, ist das Niedrigste, was es gibt. Rache für andere zu nehmen, sein Leben für die europäische Kultur einzusetzen und nicht für den eigenen Vorteil, darauf gründet die Zukunft des christlichen Abendlands. Und darauf beruhte, nach der Wiederkehr des Geringsten, die Größe der neuen Bewegung der Entschlossenen.
    Ob Sie daran glauben oder nicht, ist mir scheißegal. Noch einmal: Ich war es nicht. Wir waren es nicht. Wir hätten es sein können, aber wir waren es nicht. Wir waren doch keine Selbstmörder. Es war immer nur von Kohlenmonoxid die Rede. Warum sind Sie so vorlaut? Haben Sie irgendwo eine Waffe versteckt? Nein? Wenn ich Sie jetzt über den Haufen schieße, was dann? Kein Mensch würde Sie finden hier draußen. Also. Ich halte mich an unseren Deal, und Sie halten die Klappe.
    Der Geringste wohnte am Lerchenfelder Gürtel für zweieinhalbtausend Schilling Monatsmiete in einem Kellerabteil. In den anderen Abteilen wohnten zwei Serben, ein Bosnier, eine Familie aus Somalia, eine rumänische Familie, eine Angolesin, zwei Ägypter und ein Araber unbekannter Herkunft. Sie alle teilten sich eine Toilette, ein Geschirrspülbecken und eine Dusche. Zwei Abteile, nämlich das des Bosniers und das des Arabers, waren fensterlos, die anderen hatten, an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite, ein doppeltes Oberlicht, das mit einem Mechanismus aus Eisenstangen zu

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