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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Dauerdienst mit tränenden Augen, völlig erschöpft vom Verladen der Toten, die Uniform vollgesogen mit Leichengeruch, endlich nach Hause kam, wich meine Frau entsetzt zurück. Sie brachte keinen Ton heraus.
    »Durst«, sagte ich und ließ mich auf den Küchenstuhl fallen. »Durst. Ich kann nicht mehr stehen.«
    Sie brachte mir ein Bier, setzte sich mir gegenüber und sah mich lange an. Im Radio weinte der Landwirtschaftsminister. Er mußte jetzt die Regierungsgeschäfte übernehmen. »Das schlimmste Verbrechen der Geschichte«, sagte er und begann wieder zu heulen. Meine Frau war noch immer sprachlos. Dann ergriff sie meine Hand und sagte: »Dir ist der Leberkäs aus dem Mund gefallen.« Das hat mir den Rest gegeben.
    Die Fernsehfritzen haben uns reingelegt. Andere haben mir das bestätigt. Selber habe ich es leider nicht überprüfen können. Zwar hatte ich meine Frau am Abend, als klar wurde, daß ich während des Opernballs nicht nach Hause konnte, angerufen und sie gebeten, die Übertragung aufzuzeichnen. Aber sie hat natürlich wieder ein falsches Programm aufgenommen. Sie bildet sich immer ein, der Videorecorder nimmt das Programm auf, das sie sich gerade im Fernsehen ansieht. Wie oft habe ich ihr das schon erklärt. Einmal habe ich sie mit der Fernbedienung so lange programmieren lassen, bis ich sicher war, jetzt weiß sie es. Aber das nächste Mal hatte ich statt der Straßen von San Francisco die Kür der Damen auf dem Band. Und diesmal statt Opernball das Phantom, der Oper, noch dazu ohne Anfang.
    Da lachen Sie, aber das war so. Während ETV den Opernball übertrug, zeigte der öffentliche Rundfunk Das Phantom der Oper.
    Zurück zu meinem Dienst am Opernballtag. Das wollten Sie doch hören. Die Frau fuhr mit dem Kinderwagen fort, und wir nahmen unsere Leberkässemmeln aus der Tasche. Diesen Teil der Passage nennen wir das Museumseck. Er ist viel zu groß geraten für die paar Leute, die vom Café Museum hinunter- und bei der Sezession wieder hinaufgehen. Die meisten laufen einfach oben über die Straße. So entstand unten dieses tote Eck, das wir gerne aufsuchten, wenn wir ein wenig Ruhe haben wollten. Für die Schläfer war es dort wegen der beiden Aufgänge zu kalt, für die Musikanten war zu wenig Verkehr, und die Giftler trieben sich lieber in der Hauptpassage herum. Sie kamen aber ins Museumseck, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Dann gingen sie wieder zu ihren Freunden zurück. Am häufigsten hat sich der Mormone dort aufgehalten. Für mich war das ein waschechter Amerikaner. Reiste exakt alle drei Monate aus Österreich aus und gleich danach als Tourist wieder ein. Ich habe ihn ein paarmal überprüft. Steven Huff, wenn ich mich recht erinnere. Er sei Missionar, sagte er.
    »Aber bei uns sind doch ohnedies alle Christen«, habe ich geantwortet.
    Und was sagt er darauf, mit seinem amerikanischen Akzent? »Sie wissen noch nicht, daß bevorsteht das Weltende.«
    Darauf ich: »Das wollen uns die Zeugen Jehovas auch immer einreden. Kennen Sie die Zeugen Jehovas?«
    Kannte er. So haben wir uns hin und wieder unterhalten. Er war nicht aufdringlich. Hat nur seine Zettel verteilt. Es will mir nicht einleuchten, daß er zu den Terroristen gehört haben soll. Sie sagen jetzt, daß er der nach dem Gürtelhausbrand geflüchtete Führer war. Jetzt hat er sein Weltende. Anfangs stand er noch als Steven Huff auf der Totenliste. Er war kurz vor dem Opernball für verdächtig gehalten und gesucht worden, weil er einmal bei einem Sonnwendfeuer in der Nähe von Rappottenstein dabeigewesen sein soll. Auf einem Video der Abteilung für Hochverrat und Kriminaldelikte wider den Staat war ein Mann zu sehen, der dem Mormonen frappierend ähnlich sah. Ich habe damals den entscheidenden Hinweis gegeben. Aber ehrlich gestanden, ich hielt die Ähnlichkeit für zufällig.
    Es war, wie gesagt, nicht viel los im Museumseck. Dennoch lohnte es, gelegentlich auch dienstlich nachzuschauen, seit ich dort eines Morgens einen Finger fand. Einen abgetrennten kleinen Finger. Das lag mindestens ein Jahr, nein länger, es war ja eine Frühlingsnacht, über eineinhalb Jahre zurück. Als wir am Opernballtag zufällig am Fundort vorbeigingen, hatte ich natürlich keine Ahnung, daß dieser Finger am Abend noch eine große Rolle spielen sollte. Er hatte etwas mit der Katastrophe zu tun. Ich warte ja jeden Tag, daß die Kommission mich dazu einvernimmt. Immerhin war ich es, der den Finger als erster gesehen hat. Ich könnte der Kommission die genaue

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