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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Baby nie geklärt werden konnte, er war jedenfalls nicht der Vater. Er sprach kaum deutsch und hatte keine Papiere. Wohin sie ihn letztlich abschoben, ist nicht bekanntgeworden. Das Kind blieb.
    Es dauerte nicht lange, da fanden sich die Schachteln mit den Luftlöchern in der Nähe umliegender Straßenbahn- und Autobushaltestellen. Meist waren es Originalverpackungen von Stereoanlagen oder Fernsehgeräten, die für ein paar Stunden einen ausreichenden Wärmeschutz boten. Die kriminologische Auswertung dieser Kartonagen hat sich, selbst nach Einbeziehung der Fernsehfahndung, als hoffnungslos erwiesen, da es sich fast ausschließlich um Verpackungsmaterial von gängigen Marken handelte, das in Einkaufszentren zuhauf herumlag und von vielen Menschen für Umzugszwecke genutzt wurde.
    Selbst in der katholischen Kirche, die das Projekt von Anfang an unterstützt hatte und die Frau Kommerzialrat als Kandidatin für eine künftige Seligsprechung, als nationale Mutter Theresa, auserkoren zu haben schien, wurde bald Kritik an dem Projekt geübt, weil es zur Aussetzung von Kindern geradezu einlade und so die Unauflöslichkeit der Familie in Frage stelle. Moses, so wurde einem vorlauten Journalisten erwidert, sei bekanntlich ausgesetzt worden, bevor ihm Gott die heiligen Gesetze verkündete. Seine Erwähnung in diesem Zusammenhang entbehre daher nicht eines blasphemischen Beigeschmacks. Es wurde nicht nur im Industriellenverband immer klarer, sondern es gab auch schon erste hämische Andeutungen in den Medien, daß Kommerzialrat Schwarz das ganze Projekt am liebsten abgebrochen hätte. Doch seine Frau hatte darin ihr Steckenpferd, ja ihre Berufung gefunden. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Angriffe. Immer noch ließ sie sich vornehmlich mit dunkelhäutigen Babies auf dem Arm abbilden, obwohl gerade das die Spekulationen, ihr Betreuungszentrum habe einen lebhaften Babyaussetzungstourismus nach Wien ausgelöst, nur verstärkte. Unermüdlich plädierte sie für rigorosere Grenzkontrollen. Vor allem an den Süd- und Ostgrenzen des Landes vermehrten sich die Peinlichkeiten, weil in den Augen überforderter Grenzbeamter jede Familie, die mit einem Baby einreiste, als verdächtig galt.
    »Sie sehen«, sagte Kommerzialrat Schwarz, »meine Frau ist eine unverbesserliche Sozialistin.«
    Das war doch immerhin eine überraschende Bemerkung.
    »Vor einigen Jahren«, antwortete ich und erhob mich dabei, »meinte ein junger Mann zu mir, bei den Löhnen, die ich den Arbeiterinnen zahle, sollte man meine Brotfabrik in die Luft jagen. Ich habe ihm damals geantwortet: Im Prinzip haben Sie recht.«
    Die ganze Familie Schwarz sah mich ungläubig an. »Darf ich das bei der nächsten Tarifrunde zitieren?« fragte mich der Kommerzialrat, als ich ihm zum Abschied die Hand hinstreckte.
    »Natürlich dürfen Sie das«, antwortete ich. »Dann wird es höhere Löhne für das Reinigungspersonal geben. Aber wir werden die Maschinenreinigung automatisieren – und Sie, gnädige Frau, können sich vielleicht über einheimischen Zuwachs freuen.«
    Es tat mir gut, sie so zu verlassen. Sie würden ein wenig Mühe haben, ihre Wunden zu verstecken. Und ich hatte, nach dem üblen Trick, keine Lust, ihnen zu schmeicheln. Als ich die Loge verließ, kam mir die Tochter entgegen, eingehängt in den Arm eines rothaarigen jungen Mannes, den sie mir vorstellte. Ich achtete nicht auf seinen Namen, aber mir fiel auf, daß in seinem »Freut mich« ein französischer Akzent lag.
    »Ich werde jetzt leider in meiner Loge erwartet«, sagte ich. »Später werden wir uns sicher noch sehen.«
    Auf dem Weg hinab grüßte ich ein paar Bekannte, ohne mich weiter aufzuhalten. Ich nahm mir vor, schon am nächsten Tag in der Schweiz anzurufen, um mir Klarheit über den Stand der Geschäftsanbahnung zu verschaffen.
    Vorerst war ich aber vor allem neugierig, wen ich in meiner Loge vorfinden würde. Es war etwa halb zwölf, als ich dort ankam. Die Loge war leer. Die Gemüsefrau von der linken Nachbarloge triumphierte: »Ich habe Dir den Künstler entführt.«
    Heuer fand ich ihr Kleid, wenn ich das so ausdrücken darf, besonders daneben. Sie gab üblicherweise eine Stange Geld dafür aus. Grün mit zarten dunklen Streifen. Mit einem Band dieses Stoffes war auch das Haar hochgeknotet. Sie hieß Monika Dolezal, war etwa zehn Jahre jünger als ich. Eine echte Opernballbekanntschaft. Die Familie Dolezal hatte diese Loge schon so lange wie wir die unsrige. Ich erinnere mich noch

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