Opernball
Gewölbe und Bögen mit ihren Überschneidungen und Durchblicken, für die Fresken und den Goldstuck, der die Wände zierte. Es wirkte alles sehr bedeutsam, wären da nicht diese vielen Menschen gewesen, die es einem unmöglich machten, weiterzukommen. Vor uns ging einer, der sich ständig nach allen Richtungen umblickte und »Phantastisch« sagte. Wir hatten meinen Vater wieder in die Mitte genommen. Er stieg immer nur mit dem linken Fuß eine Stufe höher.
Die Frau neben mir hielt ein Bouquet mit roten Freesien in der Hand, als wäre sie auf dem Weg zum Traualtar. Ich wurde gegen sie gedrückt, weil sich zwei Männer mit Handkamera und Mikrophon durch die Menge zwängten. Gleichzeitig sagten wir: »Entschuldigen Sie!« und mußten über die Situation lachen. Die Frau erzählte, daß ihre Tochter debütiere. Sie verstehe es selbst nicht, aber sie sei mindestens so aufgeregt wie vor 25 Jahren, als sie selbst im Jungdamenkomitee gewesen sei.
»Nein«, sagte der Herr an ihrer Seite, »damals warst Du noch viel aufgeregter. Du hast es nur verdrängt. Nach zwanzig Jahren Ehe verblassen die Anfänge.«
Es verging eine Stunde, bis wir zu unserer Loge kamen. Mein Vater wollte zuerst den Ballsaal betrachten. Auf dem Weg dorthin blieb er immer wieder stehen und schaute sich um. Vor allem von den vielen weißen und rosa Nelken war er begeistert.
»Auch 1939«, sagte er, »gab es viele Blumen. Hier im Foyer war eine Frühlingslandschaft. Ich dachte mir damals, daß es mehr Blumen an einem Ort nicht geben kann. Aber diesmal sind es mehr.«
Wir gingen quer über das angehobene Parkett, das mit dem Bühnenraum eine stufenlose Tanzfläche bildete.
»Die Bühnenlogen hat es damals noch nicht gegeben«, sagte mein Vater. »Statt dessen war im Bühnenraum ein großes Zelt aufgebaut, in goldener Farbe mit Hunderten weißen Lichtern darin. Der Opernball stand im Zeichen des Lichts, des nördlichen Lichts natürlich. Ich erinnere mich sogar noch, wie der Konstrukteur dieses Bühnenaufbaus hieß: Hoffmann. Denn ein Kollege, den wir im Laufe der Nacht unten beim Heurigen trafen, nannte das Ganze Hoffmanns Erzählungen. Ich habe mich damals umgeblickt, ob niemand zuhört. Ich dachte: Der traut sich was. Immerhin hatte gerade Reichsstatthalter Seyß-Inquart mit Gefolge beim Heurigen Einzug gehalten. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Der Heurige war im Keller des Operngebäudes, in den Räumen der Tischlerei, untergebracht. Ich habe mich umgeblickt. Und ich bin mir dabei ziemlich feige vorgekommen. Auch wußte ich, daß die Assistentin, mit der ich zusammensaß, solche Dinge nicht gerne hörte. Hoffmanns Erzählungen, wäre es nur das gewesen. Wie kommt man da jetzt eigentlich zum Eingang der Bühnenlogen?«
Wir fragten einen Ordner. Als wir unsere Parterreloge betraten, passierte das nächste Mißgeschick. Herbert blieb an der Türschnalle hängen und riß an seinem Frack die Seitennaht auf. Er war so mit meinem Vater beschäftigt, daß er es gar nicht bemerkte. Erst als wir eine kleine Vorspeise aßen – Crevettencocktail, der, im Gegensatz zu anderen Speisen, auch in die Loge serviert wurde – und Herbert anfing, die Schlitze meines Kleides zu bewundern, sah ich, daß auch seine Kleidung aufgeschlitzt war. Damit war klar, daß wir nicht würden tanzen können, und die Casino-Jetons mußte er für eine andere Gelegenheit aufsparen.
Unmittelbar vor dem Einzug des Jungdamen- und Jungherrenkomitees zur Fächerpolonaise – alle schauten erwartungsvoll zur Festloge, ob vom Bundespräsidenten schon etwas zu sehen war – wurden von rechts oben Flugblätter ausgestreut. Wir konnten nicht lesen, was darauf stand. In den Bühnenlogen war ein Raunen zu vernehmen. Einige hatten Operngläser bei sich und buchstabierten: »Wiir siind deer leeetzte Dreeeeck. Wir sind der letzte Dreck.«
»Wieso wir, Ihr müßte es doch heißen.«
»Nein wir, die Flugblätter.«
»Meinst Du, das ist von der Oper inszeniert, eine moderne Hommage an die Putzkolonne? Die werden schon uns meinen.«
»Wenn das nun hier auch schon anfängt, war das mein letzter Opernball.«
Direkt vor unserer Loge landete ein Papierflieger. Vater amüsierte das.
»Kinder, ich muß sagen, der Opernball hat sich wirklich verändert. 1959 herrschte ein unglaubliches Gedränge. Es waren sicher doppelt so viele Leute da wie heute. Mit einemmal ist es ganz still geworden. Es war eine schlagartige Stille. Sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer von der Mitte
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