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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Geschäften gratulierte, klang das für mich immer, als würde er in Wirklichkeit sagen: »Das ist schnöder Mammon. Die Werte, die letztlich zählen, liegen anderswo.«
    Nach dem Tanz gingen wir mit Herbert in den Gobelin-Saal, wo von elf bis eins ein Tisch für uns reserviert war. Herbert ließ seinen rechten Arm über die gerissene Fracknaht hängen. Vater war wieder in seinem Element. Nur das Beste durfte bestellt werden. Der Preis für die Flasche Champagner entsprach einem kleinen Monatslohn. Aber das schien ihn keineswegs abzuschrecken. Er erzählte, daß er früher mehrmals die Woche ins Burgtheater und in die Staatsoper gegangen sei. Ich erinnerte mich an die vielen Abende in Berlin, an denen ich allein zu Hause blieb, weil er mit meiner Mutter im Theater war. Sigrid, die elf Jahre älter ist als ich, lebte nur zwei Jahre in Berlin. Dann ging sie zum Studium zurück nach Wien, wo sie allein die große Wohnung bezog, die mein Vater behalten hatte. Die Miete war spottbillig, und ist es heute noch. Friedenszins wurde das genannt.
    Später ließ die Theaterlust meines Vaters nach. Auch ging er immer seltener mit meiner Mutter aus. Manchmal lud er junge Kolleginnen, aber auch Studentinnen ins Theater ein. Mit vielen modernen Stücken konnte er sich nicht anfreunden. Er ließ jedoch keinen Shakespeare aus.
    Einmal kam er wütend von einer Macbeth-Inszenierung heim. Ich glaube, es war sogar die Verdi-Oper. Macbeth und seine Soldaten hatten SS-Uniformen getragen.
    »Die Regisseure«, sagte er, »halten uns mittlerweile wohl für ganz vertrottelt.«
    Wenn Vater nun von seinen Wiener Theaterbesuchen redete, konnte es nicht ausbleiben, daß er auch wieder auf seine Jugendliebe zu sprechen kam. Sie war es ja gewesen, die die Theaterbegeisterung in ihm entfacht hatte.
    »Jetzt mal ganz ehrlich«, fragte ich. »Warum hat sie Dich verlassen?«
    »Die Sache ist ganz einfach«, antwortete er. »Sie hat einen Obernazi gefunden. Es war ihr Professor, der sich durch kämpferische Schriften hervorgetan hat. Eine übrigens über das Burgtheater. Lange schon hatte sie mir erzählt, daß der sie verehrt und zu umgarnen sucht. Ich war mir sicher, sie würde ihn nicht erhören. Ein tragischer Irrtum.«
    »Wer war der Professor?« fragte ich.
    »Ach, der ist lange gestorben. Nach dem Krieg hat er Lehrverbot gehabt und sich darauf verlegt, historische Bücher zu schreiben. Aber sie ist bei ihm geblieben. Durch dick und dünn, wie man damals sagte.«
    Als draußen im Ballsaal als Mitternachtseinlage ein Duett gesungen wurde, blieben wir im Gobelin-Saal sitzen. Mein Vater sagte: »In ein paar Monaten habe ich mein Buch fertig. Dann machen wir ein großes Fest. Ich werde den Bürgermeister von Berlin einladen und den Wissenschaftssenator. Einige Kollegen werden darüber nicht erfreut sein. Sie haben geglaubt, sie können mich schon zum alten Eisen werfen. Aber mit diesem Buch werde ich beweisen, daß ich doch recht habe.«
    Mein Vater war mit 65 Jahren emeritiert worden. Gerne wäre er länger an der Universität geblieben. Als Emeritus hielt er zwar noch einige Jahre Vorlesungen, aber diese standen außerhalb des Curriculums und waren daher auch schlecht besucht. Er hatte beim Senator für Wissenschaft um eine Ausnahmeregelung nachgesucht, die verdienstvollen Professoren gelegentlich gewährt wurde. Aber die Bitte wurde abgelehnt. Vater vermutete hinter dieser Entscheidung die Intervention von Kollegen aus dem eigenen Fachbereich. Diese Kränkung konnte er nicht verwinden. Immer wieder kam er darauf zu sprechen. Er wollte nicht als Erniedrigter sterben, sondern als Triumphator.
    Als die Menschen vom Ballsaal zurückströmten, gingen wir in unsere Loge. Kaum hatten wir uns gesetzt, wollte Vater wieder tanzen. Ich konnte es ihm nicht abschlagen, wenngleich ich befürchtete, langsam könnte ihm der Abend zu anstrengend werden. Mittlerweile war das Staatsopernorchester durch eine Bigband abgelöst worden. Mein Vater wackelte mit meinen Händen und machte dazu ein paar kleine Schritte.
    Plötzlich hielt er inne und sagte: »Nein, mein Kind, ich war kein Nazi. Du wirst in keiner meiner damaligen Schriften einen Kniefall vor dem NS-Regime finden. Das Problem ist ein Bewerbungsschreiben. Es liegt im Universitätsarchiv. Eines Tages, wahrscheinlich erst, wenn alle damaligen Lehrkräfte gestorben sind, wird es einem eifrigen jungen Mann gestattet werden, das Archiv durchzusehen und sich seine ersten akademischen Sporen damit zu verdienen, daß er

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