Opernball
ja nie gründlich untersucht. Auch von der Alarmabteilung nicht. Wir hatten den Finger, und sie hatten Kontakt mit dem dazugehörigen Mann, ohne uns zu verständigen. So ging es damals zu bei uns.
Ich bin wahrscheinlich der einzige, der sich den Fundort genauer angesehen hat. Es gab keine Blutspuren. Wenn Sie mich fragen, der Finger ist nach drei Uhr nachts dort abgelegt worden. Zwischen ein und drei Uhr nachts wird die Karlsplatz-Passage gesäubert. Haben Sie das einmal gesehen? Vorneweg fahren zwei mit dem Shampoo-Karren. Das ist ein riesiger Kunststoffbehälter auf Rädern. Früher befand sich auf diesem Wagen noch ein mit Treibgas gefüllter Druckluftbehälter. Das Ganze funktionierte wie ein Feuerlöscher. Einer schob den Karren, einer betätigte die Spritzpistole. Schauen Sie sich einmal an der Decke der Karlsplatz-Passage die Flecken an. Die stammen aus dieser Zeit. Wenn um ein Uhr nachts die Putzbrigade ausrückte, hatten selbst wir nichts zu lachen. Wenn wir nicht schnell Reißaus nahmen, wurden uns die Haare gratis gewaschen.
Die Grünen haben ihnen das abgestellt, wegen des Ozonlochs. Seither müssen sie mit ihrem Shampoo bei jedem Fleck anhalten. Einer pumpt, einer spritzt. Hinterher kommen zwei mit einem Schubkarren. Er enthält Sägespäne, die mit einer Schaufel auf die mit Putzmittel eingeweichten Flecken gestreut werden. Ganz hinten kommen die mit den drei Meter breiten Besen.
Der Finger, selbst wenn er ganz nah an der Wand lag, hätte ihnen auffallen müssen. Im Nachtdienst bin ich einmal in die Passage gegangen und habe die Putzbrigade nach dem Finger gefragt. Keiner von denen hat auch nur ein Wort deutsch verstanden. Ich habe ihnen die Nachbildung gezeigt. Sie haben sich halb totgelacht. Aus denen war kein vernünftiges Wort herauszukriegen. So habe ich meine Recherchen eingestellt. Weder mein Chef noch meine Kollegen hätten dafür Verständnis gehabt, wenn ich bei so vielen unaufgeklärten Fällen an einer Sache weiterarbeite, bei der es keine Anzeige, ja nicht einmal einen Geschädigten gab. Aber sie ließ mich nicht los. Schon deshalb, weil es Kollegen gab, die sich über mich lustig machten. »Oje«, sagten sie, wenn ich zur Patrouille eingeteilt wurde. »Dann liegt wieder irgendwo ein Finger herum, der niemandem gehört.« Als hätte ich ihn selbst dorthingelegt.
Dabei, so hat sich später herausgestellt, war ich einer großen Sache auf der Spur. Ich hätte unbeirrt weiterrecherchieren sollen. Wer weiß, vielleicht hätte ich die Katastrophe verhindern können. Die Kollegen hätten Respekt gekriegt vor mir. Da hätten sie gesehn, was ein Mistelbacher kann.
Mistelbacher, so wurde ich am Anfang immer genannt, weil ich vom Land komme. Mein einführender Kollege hat das abgestellt, soweit er es konnte. Wenn er nicht dabei war, hieß ich noch ab und zu Mistelbacher, aber an diesem Opernballtag war das schon vorbei. Da hatten wir schon einen Jüngeren vom Land.
Wenn ich heute jemanden von damals vermisse, dann ist das mein einführender Kollege. Er ist Postenkommandant in Meidling geworden. Für einen Polizisten ist er auffallend klein. Er hat das Größenlimit gerade geschafft. Da er aber rundlich ist und auf unserem Posten damals die meisten, so wie ich, groß waren, wirkte er noch kleiner. Wenn wir auf Patrouille gegangen sind, haben sie uns Dick und Doof genannt. Manchmal rufe ich ihn an, und dann plaudern wir ein wenig von früher. Aber er hat ja kaum Zeit und muß immer gleich auflegen. Zu seinem Fünfundfünfzigsten will er mich einladen.
Von dieser Fingergeschichte hielt auch er nichts. Ich hätte trotzdem dranbleiben sollen. Heute wäre ich ein gemachter Mann. Wo ist der Fingerlose? Hat sich einmal gezeigt und ist dann nie mehr aufgetaucht. Was hat er mit der Sache zu tun? Immer noch tappen wir im dunkeln. Und diese großartige Kommission, die angeblich alles klären wird, weiß genauso wenig. Woher auch? Ich brauche mir nur anzusehen, wer da drinnen sitzt. Einer, den sie uns von oben als Revierinspektor reingedrückt haben. Damit wir unsere Überstunden verlieren. Hat kaum Dienst gemacht, aber heute sitzt er in der Kommission. Diesbezüglich hat sich nichts geändert. Auch wenn es sonst besser geworden ist, weil wir uns rühren können, weil ein Polizist endlich wieder eine Respektsperson ist. Bei der Kommission, das kann ich Ihnen garantieren, wird nichts rauskommen. Wahrscheinlich war ich damals weiter, als die jetzt sind.
Ich wollte ja dranbleiben und mich nicht so einfach
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