Opernball
einigermaßen überblicken konnte. Vor der Oper war ein freier Streifen von etwa fünfzig Metern Breite, in dem Fotografen und Kameraleute aufgeregt hin und her liefen. Linkerhand hattet ihr gerade einen Lastwagen mit Hebebühne in Position gebracht. Hydraulische Stützbeine wurden ausgefahren, drei Männer wurden auf einer von Eisengittern umzäunten Plattform langsam in die Höhe gehievt. Sie schalteten, kaum war der Metallarm zur Ruhe gekommen, neue Scheinwerfer ein, so daß die Schlacht nunmehr von oben taghell beleuchtet wurde. Vor mir ein Tummelplatz eifrig telefonierender, funkender, fotografierender und nervös herumlaufender Menschen, abgeriegelt durch sieben, acht Reihen Polizisten. Dahinter tobte die Opernballschlacht. Ich habe immer wieder Demonstrationen erlebt und in meiner Jugend auch daran teilgenommen. Auch da gab es manchmal Ausschreitungen. Ich selbst habe einmal sogar einen Pflasterstein geworfen. Das war in den frühen siebziger Jahren, als der greise Caudillo es nicht lassen konnte, vor seinem Tod noch schnell ein paar Menschen umzubringen, aber das war nicht vergleichbar mit dem, was ich hier vor der Oper sah. Das war keine Demonstration, das war Bürgerkrieg. Überall nur laufende Menschen, ein entsetzlicher Lärm, Steine, Verkehrszeichen, Stühle, Latten, Laternen, Flaschen flogen durch die Luft, nicht einzeln, sondern massenweise, es war ein Regen von Gegenständen, der auf die Polizisten niederprasselte. Umgeworfene Autos, ein brennendes Polizeifahrzeug. Rettungsmänner mit weißen Schutzhelmen sammelten Verletzte ein. Über den Dächern ein Hubschrauber.
Die Angriffe erfolgten stoßweise. Einmal von der Operngasse her, einmal von der Kärntner Straße. Alles ging schnell vor sich. Sie stürmten heran, viele mit schwarzen Wollhauben vermummt, überrannten die ersten Polizisten, warfen Molotow-Cocktails, Steine und alles, was sie im Bereich des Karlsplatzes ergattern konnten, schon kam der Gegenangriff. Die Polizisten schlugen wild in die Menge hinein, prügelten jeden nieder, der ihnen unter die Hände kam. Die Menge lief wieder zurück und war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Die Polizisten verfolgten sie in die Operngasse hinein, bis zur Sezession, was wiederum andere Demonstranten von der Seite der Kärntner Straße her zu einem Sturmangriff nutzten. Die Polizisten wurden von der Sezession zurückgerufen. Als sie vor der Oper eintrafen und zwischen Trümmern, Verletzten und brennendem Asphalt den Kollegen zu Hilfe eilten, zog sich die Menge auf der anderen Seite zurück. Sie wurde auf der Ringstraße Richtung Schwarzenbergplatz getrieben. Währenddessen sammelte sich ein neuer Stoßtrupp in der Operngasse.
Ich hatte mit meinem Chauffeur vereinbart, daß er um Viertel vor zwölf in der Mahlerstraße, in der Nähe des Eingangs zum Hotel Bristol, auf mich warten soll. Doch die Mahlerstraße war ein Nebenkriegsschauplatz. Sie war auf der Seite der Kärntner Straße von der Polizei abgesperrt. Der Kordon konnte sich kaum halten. Er wich immer weiter zurück.
»Wiener Polizisten schützen die Faschisten«, wurde skandiert. Erst als der vor euren Funkwagen aufgestellte Absperriegel von gut hundert Mann zu Hilfe eilte, gelang es, die Mahlerstraße wieder zu schließen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß mein Chauffeur so dumm war, in der Mahlerstraße auf mich zu warten, umgeben von Demonstranten, oder Stadtguerilleros, wie man sie jetzt wohl schon nennen mußte. Wahrscheinlich, so dachte ich, ist er die Mahlerstraße bis zur Schwarzenbergstraße zurückgefahren und wird dort auf mich warten. Ich ging durch die Walfischgasse, die von Polizisten in grünen Kampfanzügen abgesperrt war. Sie ließen mich problemlos passieren.
»Haben Sie genug vom Opernball?« fragte einer.
»Nein, ich komme wieder«, antwortete ich.
Darauf der Polizist: »Das würde ich Ihnen nicht raten. Wenn die Verstärkung aus Graz nicht bald eintrifft, können wir die Stellung nicht halten.«
Und plötzlich Schüsse. Sie waren in der Karlsplatzgegend gefallen. Mehrere hintereinander, dann noch einmal. Sie waren trotz des Geschreis auf der Ringstraße deutlich zu hören. Da ich nicht wußte, ob es Warnschüsse waren, Schreckschüsse, vielleicht auch Leuchtkugeln, oder ob hier wirklich auf Menschen geschossen wurde, geriet ich in Panik. Offenbar auch die Polizisten. Sie zogen ihre Pistolen, obwohl in der Walfischgasse keine Menschenseele zu sehen war. Ich lief die Straße hinunter. An der Kreuzung zur
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