Opernball
Katharina die Kleine, schon durch den Wiener Nachthimmel schwebte und zur Landung in Schwechat ansetzte.
Dann geschah es wirklich. Durch den Druck von hinten kollidierten meine Schuhe mit denen des Kaiserlichen, die stehengeblieben waren. Seine Frackschöße drehten sich auf die Seite der spanischen Prinzessin. Er umarmte einen Mann, der in der vordersten Reihe des Spaliers stand und unter der Frackschleife denselben Orden trug wie er selbst.
Es war die Darstellung eines goldenen Ringes, durch den ein goldenes Fell gezogen war. Die beiden Ordensträger berührten einander zuerst mit den linken Wangen, dann mit den rechten, plötzlich hörte ich die ins kaiserliche Ohr geflüsterten Worte: »Sei gegrüßt, Meister!«
Ich habe keine Ahnung über die Interna des Ordens vom Goldenen Vlies, dessen Souverän der kaiserliche Prinz war, doch klang in meinen Ohren die Anrede »Sei gegrüßt, Meister« wie die Bekanntgabe eines Todesurteils. Ich kann beschwören, die Worte gehört zu haben, ich stand unmittelbar dahinter. Geäußert wurden sie von einem Mann mit gepflegtem weißen Vollbart und schütterem Kopfhaar. Er war eher klein, denn der Souverän, oder Großmeister, mußte sich für die Umarmung weit hinunterbeugen. Merkwüdig war, daß der kaiserliche Prinz an diesen Worten keinerlei sichtbaren Anstoß nahm, so, als hätte er sie erwartet. Der Schwalbenschwanz seines Fracks wandte sich wieder mir zu. Da der Mann sich so unbekümmert gab, dachte ich mir, vielleicht ist das einfach der seit einem halben Jahrtausend übliche Gruß der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies gegenüber ihrem Souverän.
Er soll doch froh sein, dachte ich beim Betrachten seiner schwarzen, maßgeschusterten Halbschuhe, mindestens Größe 46, die sich nun wieder in Bewegung setzten, er soll doch froh sein, daß er den Thronfolger nur spielen muß, wenn man bedenkt, welches Los den nicht nur theoretischen, sondern wirklichen Kronprinzen und Thronfolgern zuteil war. Dieser hochaufgeschossene Mann, überlegte ich, während ich aufsah und in seinem Genick eine Warze entdeckte, die immer, wenn er mit dem Kopf nickte, für einen Moment unter dem Haaransatz sichtbar wurde, dieser Mann leidet wahrscheinlich darunter, daß er ein Leben lang nur in die Berufsschule gehen, aber nie seinen Beruf ausüben wird. Eine endlose Reihe von Perlenketten und Orden heißt ihn, zuversichtlich zu bleiben.
Während die Warze des Kronprinzen alle Augenblicke zwischen den kurzen Haaren hervorblinzelte, war der andere Prinz mit den Prinzessinnen in eine auf französisch geführte Konversation vertieft. Sie verhielten sich, als gäbe es keine Zuschauer und als wüßten sie nicht, daß sie nicht nur im Wandelgang der Wiener Staatsoper, sondern zugleich auf einigen Millionen Bildschirmen unterwegs waren. Es sprach vor allem die französische Prinzessin, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, weil ihr langsam unter dem Seidenkleid sich wiegender Arsch, der die Konturen eines hochgeschnittenen Höschens verriet, so viele Fotografen angezogen hatte, daß ich nunmehr froh war, wenn ich vom Gefolge nicht gänzlich abgedrängt und ins Spalier ausgeschieden wurde. Der deutsche Prinz, auf dessen Unterarm die Hand der spanischen Prinzessin ruhte, trug einen ordinären silberglänzenden Frack. Nur ihn konnte ich verstehen, er sprach am lautesten. Aber er sagte immer nur »absolument«. »Absolument. Absolument.«
Und dann sagte er noch: »Dans la version officielle. Non, non, c'est la version officielle. Absolument.«
Ich schaffte es nicht bis zur Philharmoniker-Bar. Eine Frau in blauem Rüschenkleid glitt plötzlich zu Boden, um dem Thronfolger die Hand zu küssen. Den hungrigen Fotografen war die Szene ein Leckerbissen. Sie verließen blitzartig den Prinzessinnenarsch und trampelten auf meinen Zehen herum. Die Apparate sirrten und klickten, während mich die Fotografen immer weiter zurückdrängten. Snsnsnsnsnsn. »Tschuldigung.« Sn. »Pardon.« Snsnsn. »Verzeihung.« Snsn. Danach trat das ein, was ich befürchtet hatte. Ich steckte in der Menschenmenge, konnte weder vor noch zurück und begann zu schwitzen.
Es war schon nach Mitternacht, als ich an der Garderobe meinen Mantel entgegennahm und ihn im Hinausgehen überwarf. Als ich die Tür öffnete, stand ich mitten im Weltuntergang. Ein höllischer Lärm, Folgetonhörner, Sirenen, überall Scheinwerferlicht auf wild herumlaufenden und aufeinander einschlagenden Menschen. Es dauerte eine Weile, bis ich die Situation
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