Opernball
suchte herauszufinden, ob sich in diesem Satz irgendein akrostischer Sinn versteckte. Aber es war eindeutig eine Aufforderung zur Flucht nach Mallorca. In jenes Haus, das wir einst für Feilböck gemietet hatten.
Ich löschte die gesamte Datei. Selbst das Betriebssystem. Dann packte ich die blaue Reisetasche aus, warf ein paar Klamotten hinein und holte das Kuvert mit dem Geld aus einer Verteilerdose in der Wand. Ich verwaltete ja die Kasse der Entschlossenen. Im Kuvert waren noch gut 400 000 Schilling in Fünftausendernoten. Das Bündel wirkte klein. Etwa achtzig Scheine, die man bequem in die Sakkotasche stecken konnte. Ich fuhr zum Flughafen. Mein Auto müßte übrigens heute noch dort stehen. Vielleicht ist es inzwischen auch abgeschleppt worden.
Es gab noch eine Maschine nach Barcelona. Ich wollte gerade ein Ticket kaufen, da kam mir das viel zu auffällig vor, und ich nahm eine Maschine nach Frankfurt. Von dort kann man überallhin fliegen. Ich entschied mich für London. Abflug war gegen 23 Uhr. Ich kam gerade noch zurecht. Von London nahm ich den neuen Nachtzug nach Paris und fuhr am nächsten Tag weiter nach Barcelona. Mein Paß wurde kein einziges Mal richtig kontrolliert. In Barcelona saß ich in einer Hafenkneipe und schaute mir im Fernsehen Ihre Bilder vom Wiener Opernball an. Dann zeigten sie meine toten Kameraden und den noch nicht identifizierten Geringsten. Haben Sie ihn gesehen? Die anderen Kameraden sind zurückgewichen. Sie lagen im Gras und auf dem Kiesweg. Der Geringste hingegen preßte seinen Kopf gegen das Gitter des Ansaugschachts und umklammerte die Dose, damit sie nicht fortrollen konnte. Er wußte genau, was er tat. Er hat es immer gewußt.
Seine Identität wurde noch am Tag nach dem Anschlag, als ich in der Hafenkneipe von Barcelona saß, als Steven Huff aus Arizona angegeben. Leitner, diese Sau, hat sich da offenbar mit seinem Wissen nicht rausgetraut. Machen Sie Leitner und Reso Dorf fertig! Erzählen Sie der Welt, was das für Charakterschweine sind. Und sagen Sie, wer der Geringste wirklich war.
Wie es weiterging? Ich bin eigentlich schon am Ende. In der Früh nahm ich die Fähre nach Palma di Mallorca und fuhr von dort mit dem Bus nach Santany. Die letzten Kilometer hierher ging ich zu Fuß. Ich kannte den Weg, weil ich im vorletzten Sommer für ein paar Tage hier war. Auch der Geringste war, wie gesagt, hier, im Herbst. Er hat meine Flucht vorbereitet, ohne daß ich etwas ahnte. Ohne ihn könnte ich Sie jetzt nicht in Schach halten. Ich habe ihm alles zu verdanken. Mehr habe ich nicht zu sagen. Jetzt schalten Sie das verdammte Band ab.
Nein, das kann ich doch nicht. Wie soll ich das Werk fortsetzen? Der Geringste war, gemessen an mir, ein Gott. Sicher wird er auch Fehler gehabt haben. Aber ich habe sie nicht kennengelernt. Vielleicht der Gürtelhausbrand. Den hat er später selber für zu eigennützig gehalten.
Dieser Trottel von Feilböck. Wir haben uns am Anfang so gut verstanden. Er hat sicher auch den Gürtelhausbrand verraten. Wer sollte es sonst gewesen sein? Der Geringste hätte nicht flüchten müssen – und alles wäre anders gekommen. Im Grunde war es Feilböck, der alles zerstört hat.
Schuld ist Quatsch. Kein Wort, das auf den Geringsten paßt. Er stand jenseits von Schuld. Darum geht es nicht in der Geschichte. Wären wir erfolgreich gewesen... Habe ich nie behauptet. Lesen Sie nach. Meine Kameraden tot, Reso Dorf Polizeipräsident, ich bin doch nicht schwachsinnig, das als Erfolg auszugeben. Was ist mit Leitner? In Pension? Da hat ihn Reso Dorf in der Hand, sonst wäre das nicht möglich. Leitner hat nicht mit dem Geringsten zusammengearbeitet, um in Pension zu gehen. Nein, das ist kein Erfolg. Ein Desaster ist das alles.
Ich weiß nicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich habe es mir überhaupt nicht vorgestellt. Ich war überzeugt, der Geringste kennt den Weg. Vielleicht hat auch er ihn nicht gewußt. Wollte ihn erst herausfinden. Jedenfalls hat es so ausgesehen, als wüßte er, wie es weitergeht. Er ist gescheitert.
Er hätte sich retten können. Er könnte über alle Berge sein. Er war kein Feigling. Er war der einzig wirklich Entschlossene. Er wüßte, wie man das alles noch einmal anpacken kann. Wahrscheinlich. Ich weiß es nicht. Oder wüßte er es auch nicht? Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht wußte er auch nicht mehr weiter. Aber warum rettete er mich? Warum läßt er ausgerechnet mich mit dem ganzen Desaster allein? Er hat mich doch geliebt.
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