Opernball
nicht überwacht worden sein. Aber man konnte nie wissen. Wir durften nichts riskieren. Im Sommer, als ihre Arbeitslosenunterstützung zu Ende war und sie von der Notstandshilfe lebten, konnten sie Harmagedon kaum noch erwarten. Sie wurden übereifrig. Das erste Auto stahlen sie zwei Monate vor der vereinbarten Zeit. Damals, im Herbst, war der Geringste für ein paar Tage fort, weil seine Aufenthaltsberechtigung wieder einmal abgelaufen war. Ich drängte darauf, das Auto im selben Schotterteich zu versenken, in dem ich mein Fluchtauto mit den leeren Gasbehältern nach dem Anschlag verschwinden lassen sollte. Auf diese Weise konnten sie schon einmal prüfen, wie sicher die von mir erkundete Stelle war. Ständig mußte ich die beiden bremsen. Als der Geringste zurückkam, sagte er mir, er sei in unserem gemieteten Haus auf Mallorca gewesen. Wir sollten es weiter behalten. Er erzählte uns, daß der Opernball dieses Mal von ETV übertragen und als großes Spektakel aufgezogen werde.
Woher er das wußte? Solche Fragen habe ich ihm nie gestellt. Ich habe auch nie nach Leitner gefragt. Wenn er meinte, ich sollte etwas wissen, sagte er es mir von selbst. Vielleicht hat ihm Leitner von eurer Übertragung des Opernballs erzählt. Ein paar Tage später war es ohnedies schon in den Zeitungen zu lesen. Die einjährige Verzögerung hatte sich also gelohnt. Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können.
Ja, ich weiß, Sie haben Ihren Sohn verloren, das ist beschissen. Ich habe alles verloren, das ist doch noch viel beschissener, oder? Hören Sie auf, mich zu unterbrechen! Mich interessiert das nicht. Ich gebe Ihnen meine Geschichte, Sie geben mir meine Ruhe.
Haben Sie im Nebenraum die Reisetasche aus blauem Kunstleder gesehen? Lange Zeit stand sie in meinem Kleiderschrank. Ich hatte sie schon vor Feilböcks Bestrafung gekauft. Keine Verkäuferin sollte sich noch an mich erinnern können. Ich hatte die Tasche gründlich gereinigt und in Nylon verpackt, damit sich nicht irgendwelche Teilchen meiner Wäsche darauf ansammelten. Mit dieser Reisetasche sollte ich in der Opernballnacht um fünf vor zwei Uhr im Burggarten sein und die drei leeren Gasbehälter wegschaffen. Im Burggarten befindet sich der Ansaugschacht für die Belüftung der Oper. Harmagedon sollte der Schlußpunkt der Opernballübertragung sein, die ja, wie wir in eurem Sender fast täglich hören konnten, bis zwei Uhr angesetzt war. Lange hatten wir hin und her überlegt, wo der Polier mein Fluchtauto parken sollte. Der ideale Platz wäre beim Burggartentor in der Hanuschgasse gewesen. Als aber dann diese Ausländerdemonstration angekündigt wurde, mußte ich mich nach einem anderen Fluchtweg umschauen. Von der Hanuschgasse aus hätte ich nämlich an der Oper vorbeifahren müssen. Und dort hätte alles von der Polizei oder von Demonstranten blockiert sein können. Der Geringste schlug vor, das Auto neben dem Volksgarten zu parken, in unmittelbarer Nähe des Bundeskanzleramts. Dort gäbe es in dieser Nacht sicher keine besondere Bewachung. Vielleicht steht das Auto noch dort. Ein roter Golf. Der Polier hat ihn in Kapfenberg gestohlen und dann ein Wiener Kennzeichen montiert.
Die drei Gasbehälter waren schon vor dem vorigen Opernball in Wien eingetroffen. Der Geringste hatte sie irgendwo versteckt. Am Ballabend wollte er gegen elf Uhr die ersten beiden Behälter an Pandabär übergeben und eine halbe Stunde später, an einem anderen Ort, den dritten Behälter an den Langen. So wird es vermutlich auch gewesen sein. Ich habe die Behälter erst nach dem Anschlag im Fernsehen gesehen. Da war ich schon in Barcelona. Aber der Geringste hatte sie mir beschrieben. Sie sollten ja in die Reisetasche passen. Oben gab es ein Sicherheitsventil. Man mußte zuerst eine Eisenkappe, in die eine Öse eingebohrt war, aufschrauben. Das konnte man, wie es vom Erzeuger vermutlich vorgesehen war, mit einem Gewehrlauf machen, aber auch mit jeder längeren Eisenstange. Die Kappe ließ sich nur sehr schwer drehen. Mit einem kurzen Schraubenschlüssel hätte man keine Chance gehabt. Als Pandabär und der Lange die Dosen übernahmen, waren die Sicherheitskappen schon abgeschraubt. Zumindest war es so vorgesehen. Der Polier, der Blade und der Lange sollten die Ventile öffnen. Unserer Vereinbarung nach aber erst um Viertel vor zwei, und nicht, wie es dann geschah, eine Stunde früher.
Das war auch so eine Vorsichtsmaßnahme. Der Lange sollte den dritten Behälter allein zum Ansaugschacht
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