Opernball
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Claudia Röhler, Hausfrau
Drittes Band
In der Eingangshalle des Opernhauses standen Polizisten mit Funkgeräten. Der für unser Portal zuständige fragte, wohin wir gehen wollten. Als wir das Hotel Imperial nannten, bat er uns, noch ein wenig zu warten, die Straße werde gerade frei gemacht. Er öffnete die Tür, um nachzusehen. Draußen war es taghell erleuchtet. Wohin man schaute, überall blinkten blaue Lichter. In der Luft kreiste ein Hubschrauber. Hinter den Barrikaden aus Stahlgitter, die die Kärntner Straße zum Karlsplatz hin blockierten, tobte eine wilde Schlacht. Wir hörten den Lärm, aber wir konnten nichts Genaues erkennen. Wir sahen nur eine große Menge Polizisten und mehrere Wasserwerfer, deren Spritzrohre sich wie Panzertürme hin und her drehten. Auf der Ringstraße brannte an mehreren Stellen der Asphalt. Aufgeregt liefen Menschen herum. Der Polizist schloß die Tür und stellte sich davor. Er sagte, es seien Schüsse gefallen. Wir sollten noch ein wenig warten. Als das Funkgerät endlich einmal schwieg, forderte er zwei Mann Geleitschutz an. Sie kamen überraschend schnell. Ich dachte, daß es besser wäre, meinen Vater gleich mitzunehmen. Herbert fragte, wie es in zwei Stunden hier aussehen werde. Der Mann mit dem Funkgerät antwortete: »In zwei Stunden ist alles vorbei. Wir haben die Lage im Griff.«
Herbert und ich einigten uns, daß es besser wäre, Vater diese Aufregung zu ersparen. Wir Opernballgäste hatten von dem, was draußen vorging, nichts mitgekriegt. Unsere beiden Begleitpolizisten drängten darauf, daß wir aufbrachen. Sieht man von den Feuerstellen und den vielen herumliegenden Trümmern ab, war die Ringstraße frei. Die beiden Nebenfahrbahnen waren mit Polizeiautos vollgeparkt. So gingen wir mitten auf der Straße, stiegen über Steine, Flaschen, Eisenstangen, Bretter und ausgerissene Verkehrsschilder. Beim Schwarzenbergplatz war die Ringstraße von der Polizei abgeriegelt. Davor brannte ein Auto. Mehrere Menschen, unter ihnen unser Porteur de bagage, waren damit beschäftigt, es mit Feuerlöschern einzuschäumen.
Herbert war gut gelaunt. Er sagte: »Würden sie das Auto ausbrennen lassen, hätten sie nachher weniger Müll.«
Als uns die beiden Polizisten wohlbehalten am Hoteleingang abgeliefert hatten, umarmte und küßte mich Herbert. Er sagte: »Ich dachte, das wird ein langweiliger Ball. Dabei hat Wien überraschende Abenteuer aufzubieten.«
Der Empfangschef hörte uns nicht kommen. Er starrte in sein kleines Fernsehgerät, auf dem ein Transparent mit der Aufschrift Miethaie zu Fischstäbchen! eingeblendet war. Dann sah man junge Menschen mit Tüchern über dem Mund. Andere hatten das ganze Gesicht mit langen, schwarzen Pudelmützen bedeckt, aus denen Löcher für die Augen ausgeschnitten waren. Der Empfangschef schüttelte ununterbrochen den Kopf. Herbert mußte zweimal »Guten Abend« wünschen, bis er uns bemerkte.
»Ist das nicht schrecklich?« sagte er.
Herbert fragte: »Was würden Sie vorschlagen?«
Darauf der Mann: »Ich sag's lieber nicht.«
»Doch, sagen Sie es nur«, ermunterte ihn Herbert.
Wissen Sie, was er antwortete? »Vergasen.«
Herbert sagte: »Lassen Sie uns lieber eine Flasche Champagner aufs Zimmer bringen.«
Darauf der Empfangschef, wieder ganz in Montur: »Sehr wohl, mein Herr. Einmal Schampus auf 504.«
In unserer Suite drehte Herbert als erstes den Fernseher auf. Ein Reporter berichtete, daß die Polizei die Lage mittlerweile unter Kontrolle habe. Man könne noch keine Angaben über Verletzte oder gar Tote machen. Ihre Zahl dürfte erheblich sein. Die Wiener Rettung und das Rote Kreuz seien noch immer im Dauereinsatz. Nie zuvor habe es bei Demonstrationen so brutale Ausschreitungen gegeben. Herbert sagte: »Und was war 1927?«
Ich fragte: »Was war 1927?«
»Justizpalastbrand«, antwortete Herbert. »Damals hat die Polizei Hunderte Arbeiter erschossen.«
Ich war beschämt, daß ich, als geborene Wienerin, mich daran von einem geborenen Berliner erinnern lassen mußte. Der Champagner wurde gebracht. Herbert kümmerte sich darum. Der Reporter sagte: »Wir melden uns in einer Stunde wieder mit einer Stellungnahme des Polizeipräsidenten. Und damit zurück zum Opernball.«
Man sah das überfüllte Tanzparkett und hörte eine Instrumentalversion von Lady Madonna. Ein Mann mit schiefem Mund und einer quer über die Brust gebundenen, rotweißroten Schärpe kam ins Bild. Er tanzte mit
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