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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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bringen und ihn selbst öffnen. Für den Fall, daß Pandabär aus irgendeinem Grund die beiden Behälter nicht zum Burggarten bringen könnte, oder der Polier und der Blade sie nicht übernehmen könnten.
    Eigentlich hätte der Geringste mit dem Langen gar nicht mitfahren sollen. Vielleicht ist er auch mit Pandabär mitgefahren oder auf einem dritten Weg in den Burggarten gekommen. Ich habe ja keine Ahnung, was wirklich geschehen ist. Ich weiß nur, was hätte geschehen sollen. Für die Arbeit im Burggarten war der Geringste jedenfalls nicht zuständig. Vielleicht hat er den Inhalt der Dosen auf irgendeine Weise geprüft und erkannt, daß er reingelegt worden war. Von Blausäure war nie die Rede gewesen. Wir waren doch kein Selbstmordkommando. Der Geringste hatte mir den Inhalt der Behälter als eine spezielle Kohlenmonoxidverbindung beschrieben. Sie hätte bei weitem nicht diese Folgen gehabt. Vor allem hätte sie nicht meine Kameraden gefährdet. Vielleicht hat Leitner auf die Vorverlegung gedrängt. Oder vielleicht hat der Geringste sie beschlossen, weil er erkannte, daß Leitner ihm eine Falle stellen wollte. Ich weiß das alles nicht. Finden Sie es raus! Verdienen Sie sich eine goldene Nase damit.
    Ich kenne auch die Rolle von Reso Dorf nicht. Vielleicht wollten Leitner und Reso Dorf im letzten Augenblick den Anschlag verhindern und als die großen Helden dastehen. Vielleicht wollten sie aber auch nur die Zeugen beseitigen. Klemmen Sie sich dahinter, finden Sie es raus. Rächen Sie den Geringsten!
    Er ist ein Märtyrer. Er ist in den Tod gegangen, damit ich überleben kann. Er hat mir das Leben gerettet. Verstehen Sie? Ich bin sein Erbe. Aber was mache ich jetzt ohne ihn? Ich bin ein Dilettant. Ich bin dem allen doch nicht gewachsen. Soll ich nach Hayden Lake fahren und Neger klatschen? Noch einmal von vorne anfangen? Mit Trotteln, die keine Ahnung haben? Die es nicht wert sind, den Geringsten auch nur gesehen zu haben.
    Stürzt sich in den Tod, um mich zu retten. Und damit soll ich jetzt leben.
    Wie er mich gerettet hat? Er traute Leitner nicht. Deshalb sollte keiner von uns am Opernballtag zu Hause sein, außer mir. Niemand konnte wissen, ob es Leitner nicht plötzlich einfällt, uns alle zu verhaften. Da ich nicht mit dem Anschlag selbst, sondern nur mit der Beseitigung der Spuren zu tun hatte, war bei mir das Risiko am geringsten. Wäre ich verhaftet worden, hätten die anderen den Anschlag immer noch nach geändertem Plan durchführen können. Um sieben Uhr abends sollte ich als Mormon2 die Botschaft ausschicken: »Seid wachsam.« Um acht Uhr: »Seid sehr wachsam.« Um neun Uhr: »Seid überaus wachsam.«
    Sollte zu einer dieser Stunden meine Mitteilung ausbleiben, würde das heißen: Ich bin verhaftet worden. Um zehn Uhr hätte der Geringste keine Möglichkeit mehr gehabt, die Botschaft zu lesen. Aber wir konnten davon ausgehen, daß die Polizei mit einer Verhaftung in der Wohnung nicht bis nach neun Uhr abends warten würde.
    Ich wußte, wo meine Kameraden sich aufhielten. Für den Fall, daß im letzten Augenblick irgend etwas an unserer Vorgangsweise zu ändern gewesen wäre, hätte es mir der Geringste im Beta-Netz mitgeteilt. Wir hatten Codewörter aus dem Buch Mormon vereinbart. Ich wäre dann sofort losgefahren, und Harmagedon hätte sich nach einem anderen Szenario abgespielt. Jedes Detail war geplant und jeder einzelne Schritt mit einer Alternative versehen, für den Fall, daß etwas falsch liefe. Und dennoch kam alles ganz anders.
    Nach der Arbeit fuhr ich heim und schaltete sofort den Computer ein. Es gab keine Mitteilungen von Mormon. Die sonstigen Wiener Beiträge beschränkten sich im großen und ganzen auf Stellungnahmen zur Opernballdemo. Die einen forderten auf, daran teilzunehmen, die anderen rieten davon ab, weil der Ausländerhilfsverein nur das Demonstrationsrecht für die eigenen Zwecke mißbrauche.Um Punkt sieben Uhr tippte ich als Mormon2 die Aufforderung: »Seid wachsam.« Etwa eine halbe Stunde später ging ich in die Küche, um mir ein belegtes Brot zu machen. Als ich zurückkam, standen unter Mormon im Index des Beta-Netzes gleich mehrere Eintragungen. Ich klickte sie nacheinander an. Alle lauteten gleich: »Mormon1 kämpft um das Tausendjährige Reich mit Feuer und Schwert, Mormon2 erwartet es unter dem Mandelbaum.« Obwohl ich sofort ahnte, was das hieß, wollte ich die Mitteilung nicht gleich verstehen. Darauf war ich nicht vorbereitet, davon war nie die Rede gewesen. Ich

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