Opernball
auserwählt.«
Immer wieder zitierte er die Bibel. Adolf Hitler schätzte er jetzt nicht mehr so wie früher.
»Hitler«, sagte er, als er aus Amerika zurück war, »hat viel Richtiges gesagt, aber auch viel Scheiß gebaut. Er hat sich mit seinem Kampf gegen die Juden hoffnungslos verrannt. Deshalb hat er auch verloren. Die Bibel gibt es seit Tausenden von Jahren, ihre Grundwahrheiten sind unbesiegbar. Die Zeit, in der Gericht gehalten wird, kommt unaufhaltsam auf uns zu. Und wir sind auserwählt, sie zu vollziehen.«
Siehe, ich komme bald. Diese Botschaft erfuhren wir, wenn wir den Fernsprechauftragsdienst der Post wählten und eine bestimmte Telefonnummer nannten.
»Moment«, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung, »die Nachricht lautet: Siehe, ich komme bald.«
Es war seine letzte Botschaft aus Amerika. Mehr als zwei Monate lang blieb sie gleich. Täglich hofften wir auf neue Nachrichten durch den Fernsprechauftragsdienst oder über Computer. Doch es hieß nur: Siehe, ich komme bald.
Bis plötzlich die Verständigungskette in Gang gesetzt wurde, ausgelöst von Feilböck. Der Geringste hatte zu unserer Überraschung ausgerechnet mit ihm Kontakt aufgenommen. Wir hatten nicht vereinbart, wer das erste Glied der Kette sein würde. Vereinbart war nur, wer für welchen Kameraden zuständig war und daß es eine Mitteilung über den Fund eines Gegenstandes sein sollte. Fundort, Datum, Uhrzeit, Telefonnummer. Rechnete man acht Tage und acht Stunden dazu, hatte man das exakte Datum des Treffens. Dann mußte man nur noch von einer Telefonzelle aus, auf keinen Fall vom Privattelefon, die Nummer wählen und sich vergewissern, daß es sie nicht gab. Es hätte ja zufällig die Mitteilung über einen wirklichen Fund sein können. Die nicht funktionierende Telefonnummer war unser Erkennungszeichen.
»Schöne große Angorakatze gefunden. 16. April, 13 Uhr. Schweizer Garten. Tel.: 65 82 583.«
So lautete die Mitteilung, die ich nach zweieinhalb Monaten Sieheichkommebald-Vertröstung am Baum vor meiner Haustür fand. Sie bedeutete: Treffen 24. April, 21 Uhr, Schweizer Garten.
Wählte man die Telefonnummer, hörte man eine Folge von drei Pfeiftönen. Ich schrieb die Mitteilung in den Computer und druckte sie aus. Dann löschte ich den file. Vor Feilböcks Haus gab es keinen Baum. Ich überlegte, den Computerausdruck am Mitteilungsbrett in Feilböcks Haus anzubringen, ließ mir dann aber eine andere Lösung einfallen. Auch wenn ich nicht das Gefühl hatte, überwacht zu werden, konnte ich nicht ausschließen, daß mein Lebenswandel in Stichproben kontrolliert wurde. Eine Fahrt zu Feilböcks Haus wäre zu auffällig gewesen. Immerhin war ich ehemaliges Mitglied einer verbotenen Organisation. Daher schnitt ich die Mitteilung klein aus und klebte sie auf ein Plakat an der Eingangstür eines Lokals, in dem Feilböck oft verkehrte. Am einfachsten war Pandabär zu verständigen. Gleich neben dem Eingang des Schallplattengeschäfts, in dem er arbeitete, stand eine Litfaßsäule. Für ihn war der Polier zuständig. Bei uns wurden die Mitteilungen auch an den Absperrplanken der Baustelle angebracht. Sobald wir die Nachricht gelesen hatten, entfernten wir sie. Kein Zettel wurde zweimal verwendet. Kopien waren nicht erlaubt. Für Mitteilungen benutzten wir weder das Telefon noch Kopieranstalten, noch die Hauszustellung der Post. Postfächer, so war unsere Vereinbarung, sind nach spätestens zwei Monaten wieder aufzugeben.
In der Bewegung der Volkstreuen waren damals, als die Angorakatze gefunden wurde, noch sieben Karneraden aktiv, denn Druckeberger und der Professor saßen ja im Gefängnis. Ob wir wirklich sieben waren, stand in den Sternen. Wir konnten nicht wissen, wer noch bereit war, mitzumachen.
Im Schweizer Garten fanden wir schnell zusammen. Alle waren gekommen. Aber wer waren sie? Waren sie noch dieselben? Wie konnte ich sicher sein, daß der andere nicht mittlerweile ein Polizeispitzel war? So, wie die Dinge nach dem Gürtelhausbrand gelaufen waren, lag die Vermutung nahe, daß es in unseren Reihen einen Verräter gab.
Wir gingen mehrfach aneinander vorbei, als ob wir uns nicht kennen würden, und suchten die Umgebung nach fremden Personen ab. Es gab nicht viele. Um diese Uhrzeit war, trotz des lauen Abends, kaum jemand unterwegs. Das am Rande des Parks gelegene Wirtshaus, dessen Gastgarten in der Abenddämmerung gut gefüllt war, bildete den Hauptanziehungspunkt für die wenigen, die um diese Zeit von den asphaltierten
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