Opernball
der Geringste und vier Kameraden im Kreis saßen. Der Geringste hatte seine Haare hinten zu einem Schweif zusammengebunden. Pandabär setzte sich dazu, ich ging hinaus, um auf den Langen zu warten. Er brachte einen Karton Bierdosen mit.
Der Geringste fragte ihn: »Hast Du das Flugblatt nicht gelesen?«
Darauf der Lange ganz entgeistert: »Aber wir sind doch keine Mormonen.«
»Nein, sind wir nicht. Aber wir werden nur wenige Versammlungen haben, immer an einem anderen Ort. Dazu brauchen wir einen hellen Kopf. Bei Harmagedon kann der kleinste Irrtum tödlich sein.«
Der Geringste hatte sich wieder zwei Achter auf den kleinen Finger gemalt. Nacheinander ging er zu jedem von uns, hakte seinen kleinen Finger in den seines Gegenübers ein und küßte ihn auf die Wange. Dann sagte er: »Bei unseren Versammlungen werde ich in der gewohnten Sprache zu Euch reden. Aber überall, wo ein Fremder auch nur ein Wort aufschnappen könnte, bin ich Amerikaner. Daran werdet Ihr Euch gewöhnen müssen.«
Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und ging innerhalb unseres Sitzkreises auf und ab. Dann blieb er stehen und sagte: »Wer von Euch Geld braucht, kann es von mir haben. Die Summe ist egal, wenn sie nicht die oberste Verhaltensregel verletzt. Und die lautet: Ein unauffälliger Lebensstil. Das heißt: Keine Schulden. Aber es heißt auch: Kein sichtbarer Luxus, keine Polizeikontakte, keine Arbeitskonflikte. Zweite Regel: Keine engen Freundschaften zu Außenstehenden. Dritte Regel: Ein nüchterner Kopf und ein voll einsatzfähiger Körper, der durch keine Abhängigkeiten beeinträchtigt wird. Und viertens eine Übergangsregel: Kein radikaler Bruch mit bisherigen Gewohnheiten, die diesen Regeln nicht entsprechen, sondern deren langsamer, aber steter Abbau.«
»Muß das sein?« fragte Pandabär.
Der Geringste schaute ihn lange an. Er gab ihm keine Antwort. Statt dessen sagte er: »Wir haben uns durch einen Schwur für unser Leben aneinander gebunden. Doch wir konnten die Bewegung der Volkstreuen nicht geheimhalten. Sie wurde verboten. Als Zeichen, daß der alte Schwur noch Gültigkeit hat, wollen wir uns von nun an die Entschlossenen nennen.«
Er zog aus der hinteren Hosentasche einen zerknüllten Zettel. Darauf stand der Eid, den wir in Rappottenstein abgelegt hatten, mit einer Änderung. Die Bewegung der Volkstreuen war durch die Entschlossenen ersetzt. Der Geringste gab den Zettel an Feilböck weiter. Er sagte: »Lest den Schwur noch einmal Wort für Wort durch. Wer Probleme damit hat, soll hinausgehen und uns nie wieder vor die Augen treten. Wenn er sich an seine Schweigepflicht hält, soll ihm nichts geschehen.«
»Und was ist mit Druckeberger und dem Professor?« fragte Feilböck.
Der Geringste antwortete: »Absolute Kontaktsperre. Wenn Harmagedon gelingt, werden sie befreit. Würden wir sie jetzt befreien, wäre die Gruppe ein für allemal erledigt. Wir müßten alle untertauchen, doch wir hätten keine Chance, durchzuhalten. Zu viel ist der Polizei über uns bekannt.«
Feilböck reichte den Zettel weiter. Mir waren zwar alle Punkte des Eides in Erinnerung, aber ich hatte die Formulierungen vergessen. Als alle den Eid gelesen hatten, deutete der Geringste mit einer Handbewegung zum Ausgang. Ich erwartete, daß einer von uns aufstehen und fortgehen würde. Wir schauten uns an. Wer würde es sein? Aber keiner ging. Der Geringste löschte alle Kerzen, bis auf eine. Um diese stellten wir uns eng im Kreis auf und legten die Arme einander über die Schultern. Die Köpfe beugten wir vor, so daß sie sich berührten. Ich weiß nicht, ob es Zufall war, aber ich stand auf der linken Seite des Geringsten. Zu seiner Rechten stand Feilböck. Der Geringste drückte mich eng an sich. Dann sagte er: »Ich bin seit dieser Stunde Mitglied der Entschlossenen.«
Wir wiederholten im Chor: »Ich bin seit dieser Stunde Mitglied der Entschlossenen.«
Dann wieder der Geringste: »Ich schwöre bei der Sonne, die auf mich herabscheint.«
»Ich schwöre bei der Sonne, die auf mich herabscheint.«
Und so gingen wir den ganzen Eid durch. Der Geringste konnte ihn auswendig. Dann nahm er den Zettel an einer Ecke und hielt ihn über die Kerze. Er hob das flammende Papier, ließ es im letzten Moment los und fing den wie eine Feder herabschwebenden schwarzen Rest mit beiden Händen auf. Er zerrieb die Asche mit den Innenflächen der Hand und gab sie an Feilböck weiter. Am Schluß reichten wir einander die geschwärzten Hände. Der Geringste
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