Opfer (German Edition)
verärgerte Miene wandelte sich zu Unwillen. Er erhob sich vom Bett. All seine Trunkenheit schien zurückgekehrt zu sein. Er schwankte mehrmals. Dann zog er sich, fast dabei umkippend, seinen weißen Leinenslip und seine grauen Flanellhosen an, und als er den Schlitz zumachte, sah er Johnnie-Mae an und sagte: »Möchtest du dir fünf Dollar verdienen?«
»Na klar!« Sie richtete sich kerzengerade hoch. Ihre kleinen Brüste wippten auf und nieder. »Na klar, Süßer, aber« – ihr Ton war unterwürfig (sie schien ihn besänftigen zu wollen) – »bei Johnnie-Mae kannst die ganze Nacht lang für zwei Dollar.«
Er begann Mitleid zu empfinden. Auf seinem Mund zeichnete sich beinahe ein Lächeln ab. Doch dann erklärte er brüsk und mit so etwas wie Hohn: »Mit dir will ich nicht die ganze Nacht lang. Sondern vielmehr, dass du rausgehst, einen andern Mann holst – einen Weißen – und ihn hierherbringst, damit ich euch beiden zuschauen kann.«
»Nein!« Sie stand auf, und die Empörung ließ ihr Gesicht tierartiger werden. »So ’ne komischen Sachen macht Johnnie-Mae nich!« Die mageren Arme in die Seiten gestemmt, stand sie auf dem dünnen Linoleumvorleger. »Ich muss mich über dich wundern, Süßer.«
Drohend trat er auf sie zu. Sie wich zurück, ließ sich wieder auf das Bett fallen. Er zückte seine Brieftasche und nahm eine Fünf-Dollar-Note heraus. »Hier«, sagte er und wedelte damit vor ihr hin and her, »die kannst du sofort haben, und wenn du mit dem andern fertig bist, kriegst du nochmal fünf. Und hast du’s besonders gut gemacht, sogar zehn.« Sie rückte von ihm weg. Drückte sich dicht an die Wand heran. Doch als er jetzt den Schein nahm und zwischen den Fingern glattstrich, kam sie über das verschossene, verwühlte Lila der Bettdecke gekrochen, die Augen wie gebannt auf das Porträt Abraham Lincolns in der Mitte der Geldnote geheftet. Sich weit über das Bett beugend und ihr den Schein verführerisch hinhaltend, beobachtete er sie genau, als ihre eine Hand – sie schien gar nicht zu ihr zu gehören – hochlangte, um das Geld tastend zu berühren.
»Na los, nimm schon«, sagte er.
Als wäre es nur, um ihm zu gehorchen, schlossen sich ihre Finger willfährig um den Schein.
»Nun mach und zieh dich an.«
Unterwürfig, mit gesenktem Kopf, stand sie auf, den zerknitterten Schein mit der Faust umklammernd. Wieder stieg Mitleid in ihm auf. Diese Demut, sie schien ihr eingeprügelt worden zu sein. Doch dann sagte er: »Beeil dich. Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.«
Den Kopf noch immer gesenkt, und ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern, fragte sie: »Zugucken … wie willst’n das hier machen?«
»Ich geh hinter den Wandschirm«, sagte er, »und … ich stelle die Lampe drüben in die Ecke, so dass er mich nicht sieht.«
»Mister Mann, Mister Mann, ich muss mich wirklich über dich wundern.«
»Das kannst du dir sparen.« Die Worte kamen hart und wie Hagel. »Die Welt ist voller komischer Leute, Johnnie-Mae. Das müsstest du doch schon mitgekriegt haben …«
»Allerdings, Süßer, nur …«
Sie streckte die Hände aus, flehentlich, als wollte sie sich irgendwie entschuldigen, als wollte sie ihn bitten, es sich noch anders zu überlegen.
»Hör mal« – er biss sich auf die Lippen, blickte auf den Fußboden – » lass das. Zieh dich nur an und troll dich …«
»Na schön.« Ihre Stimme war ganz hoch und ganz weit weg.
»Aber ich mach’s nich bloß wegen dem Zaster. Du gefällst mir, Süßer. Ehrlich …«
»Himmeldonnerwetter noch mal, zieh dich endlich an«, sagte er, aber sein Ton war schon ruhiger. (Sollte er es ihr erlassen? Und sie lieber lehren, die Rute anzubeten? Nein, es brauchte Zeit, bis sie richtig gefügig wurden, und das hier war ja bloß eine Hure, eine Hure, die er nie wiedersehen würde.) »Zieh dich endlich an«, wiederholte er. »Los!«
Immer noch zu Boden blickend, beobachtete er, wie ihre platten braunen Füße über die nackten Dielenbretter trippelten und hinter dem Wandschirm verschwanden. Als er dann wieder das Eingießen und Schwappen von Wasser hörte, trat er zu dem Stuhl, um die Lampe hochzunehmen und sie hinüber in die Ecke zu tragen, die dem Fußende des Betts am nächsten lag.
»Beeilung«, rief er Johnnie-Mae zu, als er die Lampe niedersetzte.
Ein paar Augenblicke später kam sie, sich gerade den Pullover über den Kopf ziehend, hinter dem Wandschirm hervor. Sie sagte kein Wort, sondern ging, als sie mit dem Pullover fertig war, erneut
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