Opfer (German Edition)
einer Konkubine seidenem Leichenhemd. Doch nein – seine Lippen strafften sich, seine Nasenflügel bebten –, er war der Kalif, der Sultan, der Großmogul, der Schah, umgeben von kriecherischen Kastraten, hier in diesem juwelenerleuchteten Gemach mit seinen lapislazuli-besetzten Gobelins aus schwerem karneolrotem Samt. Es war – er schwankte – ein wollüstiges Bacchanal, und er, der Haupt-Hippogryph, der Groß-Greif, das hydrahäuptige Einhorn, der Obersatyr, der allmächtige Begatter aller, schickte sich zu einem weiteren sündigen Opfer für sich selber an. Er öffnete die Augen. Und stieß beinahe den Wandschirm um. Die Blumen darauf, die sich auf seiner Seite schwach abzeichneten, waren schwarze Orchideen, grüne Gardenien und lavendelblaue Lilien. Sich auf die Zehenspitzen hochrichtend, schaute er über sie hinüber und hinunter auf die Matratze, die das Bett war. Dann stellte er sich wieder gerade hin und rückte den Schirm so zurecht, dass er – er setzte sich jetzt auf das Fensterbrett – durch den Spalt zwischen zweien seiner Teile gucken konnte. Ja, hier würde er sehen können, ohne gesehen zu werden.
Er wurde langsam ungeduldig. Warum beeilte sie sich nicht? Er fasste in die Jackentasche nach einer Zigarette. Doch da hörte er schon die Tür aufgehen und …
»Hier sind wir, Süßer.«
Er nahm die Hand aus der Tasche und beugte sich vor. Den Atem anhaltend, ging er mit dem Auge dicht an den Spalt des Wandschirms.
Er begann zu schwitzen.
»Lass mich bloß noch die Tür zumachen, Süßer …«
Die Tür knallte zu, aber es war nicht Johnnie-Mae, die sie geschlossen hatte. Johnnie-Mae war von dem Mann brutal zur Seite gestoßen worden. Und im nächsten Augenblick, während die dünnen Wände noch wackelten, flog sie quer durchs Zimmer, und Münzen, meist Ein-Cent-Stücke, kullerten über den Boden, als sie darauf aufschlug und mit ihrem schmächtigen Oberkörper gegen das Bett bumste.
Der Mann – alles was Rodney von ihm sehen konnte, waren Reitstiefel, Breecheshosen und Tweed Jackett – stand über ihr. Er war an die sechs Fuß groß. Den einen Arm hatte er drohend erhoben, und jetzt erkannte Rodney, dass er eine Reitpeitsche in der Hand hielt.
Während ihm der Schweiß übers Gesicht rann, hörte er Johnnie-Mae wimmernd fragen: »Was soll’n das, Süßer? Was …«
»Halt deine dreckige Fresse, sonst schlage ich sie dir ein!«
»O Mister Mann«, begann sie klagend zu rufen, »o Mister Mann, o Mister Mann …«
Die eine Seite ihres Gesichts lag flach auf dem Bett. In ihrem anderen Auge aber konnte Rodney, der sich ganz still verhielt, nicht die leiseste Bewegung machte, all die Angst und Verzweiflung sehen, als es den Wandschirm nach ihm abzusuchen schien.
»Halt’s Maul!«, brüllte der große Mann sie jetzt an, wenn auch sein weicher südlicher Akzent die Härte seiner Worte milderte. »Nenn mich nicht so, du kleine Niggerhure! Ich heiße Douglas! Douglas Dudley!«
Der Mann begann nach hinten zu schwanken. Rodney krampfte sich der Magen zusammen, und er hielt die Luft an; er rechnete damit, dass der Kerl gegen den Wandschirm fiel.
Doch dann drehte er sich um, so dass Rodney sein Gesicht sehen konnte.
Er war noch jung (sah nicht älter aus als zwei- oder dreiundzwanzig), und er war sehr betrunken. Er hatte ein ebenmäßiges blasses Gesicht und einen nahezu zarten Körperbau, und der Ausdruck in seinen grauen Augen, so wild er auch war, kündete von übermächtiger Verzweiflung.
»Jawohl«, sagte er und hob die Reitpeitsche hoch über den Kopf, »das ist das einzig Wahre. Wenn ich das tu, tu ich meine Pflicht und Schuldigkeit als Staatsbürger und« – er fuhr sich mit den Fingern durch das Rotblond seines Bürstenschnitts – »bin dann ganz genauso wie all die Millionen andrer Mörder, die in der Welt rumlaufen …«
Einen Augenblick lang war Rodney beunruhigt. Doch als er Dudley genauer beobachtete, wurde ihm klar, dass der Bursche bloß einer jener besoffenen Südstaaten-»Intellektuellen« war. Verdammt, womöglich würde er nicht mal einen Ständer fertigbringen. Es sei denn, er prügelte sie, und es sah ganz so aus, als wäre er auch dazu nicht in der Lage, denn er sackte jetzt kraftlos auf das Bett und begann nach Johnnie-Mae zu grabschen.
Die Augen auf den Spalt zwischen den beiden Wandschirmteilen geheftet, beugte Rodney sich vor.
»Jawollja«, sagte Dudley, »ich muss dich einfach kaltmachen, du kleine Niggerhure …«
Zitternd kroch Johnnie-Mae hinüber zur Wand,
Weitere Kostenlose Bücher