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Opfer (German Edition)

Opfer (German Edition)

Titel: Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Bernard Burns
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hinter den Schirm, um nach ein paar weiteren Augenblicken wieder vorzukommen, diesmal sich den Rock zumachend. Und dann, während er dastand und sie ansah, ließ sie ihre kleinen Füße in die zu großen Schuhe schlupfen und nahm die Handtasche vom Stuhl, wo sie sie vorhin abgelegt hatte. Sie tat die fünf Dollar hinein, die sie noch immer in der Hand hielt, und holte einen Lippenstift heraus.
    »Das brauchst du nicht«, sagte er. »Schnapp dir den ersten besten Weißen, den du auftreiben kannst und bring ihn hierher! Wenn er nicht mitgehen will, sag ihm, du würdest es für umsonst machen …«
    Es beschämte ihn, wie kalt, wie herzlos seine Stimme klingen konnte. Schuldbewusst drehte er ihr den Rücken zu, als sie ihm abermals die Hände entgegenstreckte und verwirrt und fragend, kläglich fragend die Brauen hob.
    »Beeil dich«, zwang er sich zu sagen, als er jetzt das traurige Klapperdiklapp ihrer hohen Absätze vernahm, das sich langsam in Richtung Tür entfernte.
    »Pass gut auf«, hörte er sie sagen, »dass er dich nich sehen kann. Sei mucksmäuschenstill, Mister Mann …«
    »Das lass man meine Sorge sein«, gab er zurück. »Sieh du nur zu, dass du schnell zurückkommst.«
    Klapperdiklapp … Er drehte sich nicht eher um, als bis er die Tür hinter ihr ins Schloss fallen und sie – klapp, klapp – die Vorstufen hinuntergehen hörte. Dann, mit dem Gesicht zur Tür und als sähe er sie dort draußen im Hof, sagte er laut: »Was war es noch, was du über dich selber geschrieben hast, Montaigne? Ach, ja. ›Nie sah ich ein größeres Monster oder Mirakel … als mich selbst‹.« Diese Worte waren ihm jedoch ein geringer Trost. Immerhin aber konnte er sich sagen, dass sie ihn vielleicht morgen zu trösten vermochten. Morgen. Nachdem der Leichnam dieser Nacht weggeschafft worden war. Wo weggeschafft? Aus seiner Seele?
    Mit schwankenden Schritten, als befände er sich an Bord eines Schiffes, ging er hinüber zu dem Stuhl zwischen dem Bett und dem Wandschirm. Sich so fühlend wie immer, wenn er ein bisschen seekrank gewesen war, setzte er sich hin. Er stützte die Ellbogen auf die Knie. Und dann, den Kopf zwischen den Händen haltend, sagte er zu sich, er sei nicht mehr Rodney West, ein junger Mann, der Romane schreiben wollte. Sondern nur noch »R«, »R«, der Kidnapper, der Kinderschänder, der Lustmörder, so wie Peter Lorre in »M«. »M«, der entartete, der monströse Minotaurus … Das war er. Den Kopf noch immer zwischen den Händen, die Finger fest gegen die Wangen gepresst, ließ er seinen Blick durch das Zimmer schweifen und versuchte diese in Schatten gehüllte ordinäre Schmutzigkeit mit seinem ganzen sonstigen Leben in Einklang zu bringen. Doch schon nach ein paar Augenblicken dünkte ihm, dass sein Leben seit der Pubertät nichts weiter als schweinische Bestialität gewesen sei, ein unzüchtiges Abweichen, ein übler Antiklimax von den edlen Träumen, die er als Junge gehabt hatte. Er sah hoch zu der Spinnwebe. Sie war zu einem kriechenden Basilisken geworden. Er sah runter. Sah in die Ecke, wo er die Lampe hingestellt hatte. Sie war jetzt ein grinsender Lemur, ein böser Kobold. Er stand auf. Der Geruch nach Kaliumpermanganat tat ihm in der Nase weh. Er schwankte. Und noch einmal. Dann trat er hinter den Wandschirm, wobei er um ein Haar den Spüleimer umstieß, und stellte sich an das offene Fenster neben der Waschkommode.
    Der Nebel war angenehm kühl auf seinem Nacken. Dort draußen, dachte er, dort draußen, gleich hinter ihm, war eine Stadt, ein Land, eine Welt voller anständiger, rechtschaffener Bürger. Plötzlich wollte er nichts weiter als in einer Straße wie Millionen anderer Straßen leben, in einem Haus wie Millionen anderer Häuser und mit einer Frau wie … Nein, dort draußen, gleich hinter ihm, wo Fortune, Fortune, Fortune … Ach, warum, ach, warum, warum nur hatte er sie wieder aufgesucht?
    Er schaute runter – unter ihm knarrte irgendetwas – auf das ungestrichene Fensterbrett. Als sein Blick in den Eimer fiel, sah er Büschel und Klumpen schwarzer Haare in der braunvioletten Flüssigkeit schwimmen. Er fiel beinahe vornüber. Ihm war, als müsse er diese Jauche um seine eigene Kotze vermehren. Doch dann, als er wieder hochschaute, vor sich die Rückseite des Wandschirms sah und sich erinnerte, warum er noch hier war, verdrängten Gefühle der Ausschweifung die aufsteigende Übelkeit.
    Er stand auf und schloss die Augen, um ein elender Wicht zu werden, grausam gefangen in

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