Opfer (German Edition)
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
Ihre Haare flogen auf die andere Seite. Ihr Mund zitterte. Und ebenso ihr Kinn. Doch ihre Augen waren noch immer von ihm abgewandt, als sie atemlos sagte: »Doch Rodney, ich hab’s gehört, aber« – mit einer krampfartigen Geste legte sie ihm die Hand aufs Knie und sah ihn endlich an – »aber ich will nicht nach New Orleans zurück. Nein, nein, nein …«
Die Worte schienen, statt aus ihrem Mund herauszukommen, in ihre Kehle hinunterzurutschen. Ihre Finger fuhren fort, krampfhaft sein Knie und den knochigen Ansatz seines Oberschenkels zu streicheln. Schwach werdend, sie mehr denn je begehrend, schaute er in ihre Augen, die ihm ein wenig blutunterlaufen vorkamen, und wieder bemerkte er die feinen Fältchen in ihren Winkeln. Ob sich ihr Körper verändert hatte? Er räusperte sich. »Aber«, sagte er, »aber es hat keinen Zweck, Darling. Jedenfalls nicht so. Denn wenn du ihn von Beaumont aus anrufst …«
»Das muss ich.«
»Nun dann« – er machte eine hilflose Bewegung – »dann ist er uns im Nu hinterher.«
Sie gab keine Antwort, schien völlig aus der Fassung gebracht. Doch ihre Finger streichelten jetzt schon weniger krampfhaft sein Knie. Langsam, immer langsamer knetete sie den Stoff seiner Hosen, während sie den Kopf hängen ließ und schließlich murmelte: »Ach, verdammt, was soll ich nur tun?«
Er schwieg. Er vermochte an nichts anderes zu denken als an den Mord, der von Alfredo Oviedo begangen würde. Er konnte beinahe den Minutenzeiger hören, der sein Leben austickte. Sein Magen war eine leere Muschelschale. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war schlaff und angespannt zugleich. Er spürte sich, seinen Schwanz, vergehen, zu nichts werden. Doch plötzlich rüttelte ihn etwas, so dass sich seine Muskeln wieder bewegten, sein Herz wieder schlug. Es waren Fortunes Arme, die ihn umschlossen, während sie, das Gesicht dicht unter dem seinen, zu ihm hochsah und sagte: »Ich denke dabei an dich, Darling. An dich, und nicht an Fredo. Wenn dir meinetwegen etwas zustieße … Ach, Darling« – sie grub ihre Finger in das Fleisch seiner Oberarme – »du bist mein Baby-Boy, weißt du das nicht? Ich muss auf dich aufpassen, ich muss …«
Er bewegte die Schultern, so dass sie seine Arme loslassen musste. Besorgt schaute er sich im Bus um, ob auch niemand etwas gesehen oder gehört hatte. Nein. Also konnte er sie wieder anschauen – sie war abermals an ihn herangerückt – und sich sagen, dass sie der einzige Mensch in der Welt sei, den es nicht störte, wenn er schwach, wenn er feige war. Irgendwie machte sie ihm die eigene Schwäche weniger hassenswert. Irgendwie ließ sie seine Feigheit gerechtfertigt erscheinen. Ach, sie war wundervoll! Vor ihr brauchte er nie etwas zu verheimlichen! Er war ihr Baby! Sie war sein …
Nein, war sie nicht!
Die Fäuste zusammenpressend, sie wieder lockernd und wieder ballend, versuchte er, seiner gemischten Gefühle aus Verstimmung und Verlangen Herr zu werden, doch es gelang ihm nur bei der Verstimmung, als er daran dachte, wie ihre Arme heute Nacht ihn umschlungen halten könnten, wie ihre großen Hände ihn liebkosen (und prügeln) könnten, wie ihre feuchten Lippen, ihre feuchte Zunge ihn überall (über Brust, Beine, Schwanz, Sack, Arsch) lecken könnten, wie ihre goldene Möse seinen harten braunen Schwanz aufnehmen, ihn umschließen und fest umklammern könnte. Und jetzt spürte er, wie seine Rute wieder hart wurde, aber ganz ruhig, die Fäuste wieder lockernd und auf seine Hände schauend, sagte er: »Weißt du …« – er sah zu ihr hoch – »ich …« – er zögerte abermals – »ja, es ist besser, du rufst an. Aber« – sein Geist arbeitete jetzt rasch; alles fiel richtig, präzise, genau an seinen Platz – »aber sag ihm, du wärst schon auf dem Weg zurück. Dann können wir weiterfahren nach Houston und dort die Nacht verbringen.«
»Und dann?«
»Dann«, sagte er und legte mit Fleiß Entschiedenheit in seine Stimme, »fährst du zurück nach New Orleans und …«
»Also bin ich dir bloß für eine einzige Nacht gut!«
»Ach wo, Baby.« Er nahm ihre Hand, die sie ihm zu entziehen suchte. »Ach wo, Baby«, wiederholte er, nach besten Kräften bemüht, wieder Mr. R. W. Zärtlichkeit zu sein. »So höre doch!«, rief er, »gib mir eine Chance, ja?«
»Und …?«
»Und wenn du zurück in New Orleans bist, musst du alles in Ordnung bringen. Diesmal war es Pfusch. Nächstes Mal musst du
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