Opfer (German Edition)
war und pochte.
»Nein, Liebster«, murmelte sie, »wir müssen vorsichtig sein. Wir …«
»Ja, du hast recht«, erwiderte er. »Aber nun sag mir, wo treffen wir uns?«
»Wie wär’s im Roosevelt? Um zwei Uhr früh? An der großen Bar? Das ist genausogut wie anderswo. Niemand, den ich kenne, verkehrt dort.«
»Okay«, sagte er, »keine schlechte Idee. Aber vergiss ja nicht«, fügte er ein bisschen beunruhigt hinzu, »ihm die Nachricht zu hinterlassen, du würdest nach New York gehen.«
Kapitel 5
In der frühen Morgendämmerung konnte er sehen, was er ein paar Stunden zuvor so stolz begrüßt hatte, als der Bus jetzt am Lake Charles entlangbrauste, immer weiter in Richtung Texas. Sie schlief neben ihm, ihr Gesicht weiß im grauen Freitagslicht. Ihre Hand hatte sie noch unter seinem Mantel. Und er hatte seine noch unter ihrem Mantel.
An ihr vorbeisehend, schaute er durch die trübe, beschlagene Fensterscheibe auf den schweigenden großen See, der blass unter dem verschmierten Himmel lag. Das unbewegliche Wasser sah aus wie Blei. Nichts ringsum hatte Farbe. Die Zypressenbäume mit ihren Moosbärten waren grau und unheimlich. Die Zweige der Trauerweiden hingen trüb und schmutzig. Selbst die Hyazinthen wirkten glanzlos in dem dichten Frühdunst, der die Atmosphäre bleichte. Hier, mehr als überall, wo er schon gewesen war, spürte Rodney den Süden, den tiefen, tiefen Süden ringsum. Die Geräusche lauten Atmens mischten sich mit der Grauheit, die allmählich die Köpfe und Schultern all der Gestalten in dem Bus abzuzeichnen begann.
Rodney reckte den Hals. Nur der Busfahrer schien zu leben. Doch mit seinen mecha nischen Bewegungen, selbst wie er sich jetzt eine Zigarette anzündete, kam er ihm nur wie ein als Mensch verkleideter Roboter vor.
Rodney lehnte sich wieder zurück. Sah wieder Fortune an. Auch sie atmete laut. Sie rückte sich auf ihrem Sitz anders hin.
Ihre Hand glitt runter. Er hob sie wieder hoch, wieder dorthin, wo sie unter seinem Mantel gelegen hatte, mit der warmen Innenfläche gegen seine heiße Rute drückend. Ihre Finger bewegten sich, streichelten sie, kratzten ein wenig. Aber sie wachte nicht auf. Doch flüsterte sie etwas im Schlaf, das ihm sehr nach »Darling« klang.
Er rückte näher an sie heran, und als sich ihre Köpfe berührten, wurde sein Schwanz steif. Ihre Augen waren halb offen. Alles, was er sehen konnte, waren ihre seidigen Haarsträhnen. Er versuchte zu gähnen. Es gelang ihm nicht. Er hatte einen schalen Geschmack im Mund. Ihre Haare waren ein goldener Schleier. Ach, incroyable … Er schloss die Augen. Und nickte ein.
Als er erwachte, war es schon heller. Eine Sekunde lang wusste er nicht, wo er war. Dann blickte er zu ihr hinüber. Ihr Kopf war auf die Seite gefallen, weg von ihm, gegen das Fenster, durch das er jetzt nichts weiter sehen konnte als ein endlos flaches Weizenfeld. In der sonnengesprenkelten Grauheit schien es ihm wie mit Asche bedeckt. Er fasste in die Tasche nach einer Zigarette. Als er sie anzündete, konnte er über dem Atmen in dem Bus leises Gemurmel zwischen einigen der Passagiere hören. Er ließ das Streichholz auf den Boden fallen und drehte den Kopf wieder zu ihr hin, langte aber nicht nach ihrer Hand, die abermals hinabgeglitten war, denn plötzlich empfand er ein leichtes Gefühl des Angewidertseins, als das bleiche Licht der Morgensonne die Nassheit des Schweißes enthüllte, der aus den Poren ihrer Nase gesickert war.
Den Finger an die fettige Spalte zwischen Nasenflügel und Wange legend, wischte er den Schweiß von der einen Seite seiner eigenen Nase ab, und als er es auch auf der anderen Seite tat, dachte er daran, wie abstoßend das Säugetier Mensch von nahem betrachtet doch manchmal sein konnte. Und so schaute er von ihr weg, hinaus zum Fenster und hinauf in den rauchigen Sonnenschein, und sagte zu sich selber: »Olivia, unter dem weiten Himmel, wo bist du jetzt?«
Sich ganz zurücklehnend, streckte er die Beine aus, so dass sie den Zwischenraum bis zu dem Sitz vor ihm ganz ausfüllten, und machte einen Zug nach dem anderen von seiner Zigarette, bis er sie angewidert auf den Boden fallen ließ und – wie steif seine Beine waren, seine Beine und sein Schwanz! – mit dem Absatz zertrat. Dann, die Hand gegen seinen Schwanz drückend, sie fast dagegenstemmend, lehnte er den Kopf wieder auf die plüschbezogene Lehne zurück und schloss die Augen, um sich ganz der Erinnerung an Olivia hinzugeben.
Ach (er strich über seinen
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