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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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der Polizeiwache und sah, wie der Streifenwagen an der Treppe stehenblieb. Sein Mund war ausgetrocknet. Smollet wollte, dass er die ganze Sache selbst regelte, also hatte er mehrmals versucht, Rivett anzurufen. Aber der alte Hase hatte sein Handy abgeschaltet, und ohne seine Anleitung kam es ihm vor, als hätte er ein Paralleluniversum betreten. Eine Welt, in der alles, was er kannte, Kopf stand und keine der üblichen Regeln galten.
    Im Laufe seiner langen Polizeikarriere hatte Blackburn eine Menge Seltsames erlebt. Aber nichts hatte das Ausmaß dessen erreicht, was er jetzt vor sich hatte. Arthur Bowles, der Deputy Chief Constable der Norwich Police führte seinen alten Kollegen DS Andrew Kidd die Treppe hinauf auf ihn zu. Bowles starrte ernst geradeaus. Kidd war vollkommen schwarz gekleidet und hatte eine Wollmütze bis knapp über die Augen gezogen wie ein Terrorist. Er schaute auf den Boden und hatte die Hände in Handschellen hinter dem Rücken. Um die tiefen Kratzspuren auf seinen Wangen trocknete das Blut.
    *
    Wieder durchfuhr Francesca die Angst, als die Türen des Aufzugs sich hinter ihnen schlossen. Es war eng, und sie versuchte, ihr Unbehagen mit Humor zu überspielen. »Ihr Freund Eric hat anscheinend gelebt wie ein König«, sagte sie. »Roter Teppich, Privataufzug zum Büro.« Sofort hatte sie wieder das Bild ihrer Eltern vor Augen.
    »Seinem Status entsprechend«, erwiderte Rivett.
    »Und was waren Sie?«, fragte sie. »Einer seiner Höflinge?«
    Die Tür öffnete sich, und sie standen in einem runden, verglasten Raum. Rivett stieg zuerst aus dem Aufzug und knipste das Licht an.
    »Die braucht jeder König«, erklärte er. »Wenn man seine Macht erhalten will, braucht man einen klugen Kopf. Den gibt’s nicht zu kaufen.«
    Als sie Rivett in den Raum folgte, fiel ihr wieder ein, wie ihr Vater über Eric Hoyle geredet hatte. Kein Wunder, dass mit dem Mädchen was nicht stimmt , hatte er gesagt. Bei dem Großvater . Er hatte ihrer Mutter von einer seiner Schülerinnen erzählt. Aber als er Francesca an der Tür gesehen hatte, war er verstummt.
    »Setzen Sie sich, Miss Ryman«, sagte Rivett.
    Mitten im Raum stand ein großer Filmproduzentenschreibtisch mit Ledersessel und Meeresblick. Gegenüber stand ein ähnlicher, kleinerer Sessel. Als Francesca über den weißen Shaggy-Teppich auf den Tisch zuging, fiel ihr auf, dass er nahezu leer war. Bloß ein großer, runder Rauchglasaschenbecher mit passendem Tischfeuerzeug und ein altes, schwarzes Telefon mit Wählscheibe standen darauf. Rivett ließ sich auf den großen Sessel sinken und zog seine Zigarren aus der Tasche.
    »Die neuen Besitzer haben hier wohl alles so gelassen, wie es immer war«, sagte Francesca, als er sich eine anzündete.
    Rivett blies den Rauch aus. »Das haben sie«, erwiderte er. »Dauert auch nicht mehr lange.« Er schaute auf seine goldene Armbanduhr. »Er ruft bestimmt jeden Moment an. Wollen Sie wirklich nichts trinken? Die haben hier eine gut sortierte Bar, hab ich gehört.«
    »Und wem dienen Sie heute, Mr Rivett?«, fragte Francesca.
    Rivett schaute auf sein Handy und dann wieder zu ihr hinüber. »Der neue Chef ist dem alten ziemlich ähnlich«, erwiderte er. »Wie Sie sehen, waren Eric Äußerlichkeiten immer sehr wichtig. Zu wichtig, wie sich später herausstellte.«
    Rivett legte die Zigarre in den Aschenbecher, und Francesca stiegen die Rauchschwaden in die Nase, während er einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche nahm und eine Schublade vor sich aufschloss. Er holte einen dicken Din-A4-Umschlag heraus und ließ ihn auf den Tisch zwischen ihnen fallen.
    »Ich muss schon sagen, Miss Ryman, Sie haben starke Nerven. Kein Zucken und nichts.« Er schob ihr den Umschlag zu. »Das hier suchen Sie doch, oder?«
    *
    Mr Pearson hatte den Hunden gerade die Hintertür geöffnet, da klingelte schon wieder das Telefon. Als er zurück in den Flur lief, streiften sie auf dem Weg nach draußen in die Nacht seine Beine.
    »Frannie?«, sagte er, als er abgenommen hatte.
    »Philip?«, antwortete eine Frauenstimme mit Midlands-Akzent, die er von früher kannte.
    »Philip, hier ist Sheila Alcott. Ist bei dir alles in Ordnung?«
    »Sheila?« Mr Pearson hielt sich die Hand an die Schläfe und schloss die Augen. Einen Augenblick später hatte er ein Gesicht vor Augen, und er wusste, mit wem er sprach. »Ach, Sheila, genau. Tut mir leid, das Gedächtnis lässt wohl langsam nach.«
    »Hab mich schon gewundert«, erwiderte Sheila. »Hör mal, mir

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