Opfer
ersten Mal bewusst, und damit brach auch die Angst über sie herein, dass alles, was sie kannte, enden würde, dass alle wegziehen und sie hier alleine zurücklassen würden.
»Tja.« Darren spürte wohl, was in ihr vorging. »Ich würd’ schon gerne auf die Kunsthochschule in London gehen, wenn’s klappt. Aber bis dahin sind’s noch Jahre.«
»Kann sein«, erwiderte Corrine skeptisch.
»Aber du musst doch auch nicht hier bleiben, wenn du nichtwillst«, sagte er. »Überleg’s dir doch mal. Wenn du deine Ausbildung als Friseurin hast, kannst du überall hin.«
Auch daran hatte sie noch nie gedacht. Jetzt musste sie lächeln. »Ja. Hast recht. Das wär was. Mann, Darren, ich geh mich gleich morgen früh bei Lizzy entschuldigen. Zum Glück hab ich dich getroffen, du hast mir echt das Leben gerettet.«
Sie kamen jetzt an dem Haus von Sams Oma vorbei. Corrine erschauderte, als sie an den Abend mit dem Hündchen denken musste. Sie hatte das Gefühl, die Fenster der Villa würden sie beobachten wie gläserne Augen.
»Komm, wir gehen durch die Dünen«, schlug sie vor und sprang auch schon die Ufermauer hinunter aus dem Sichtfeld.
»Warte!« Darren stieg vorsichtiger hinunter, weil er nicht wollte, dass ihm sofort Sand in die Schuhe kam. Jetzt waren sie fast am Bunker. »Ach, Corrine«, sagte er mit verschmitztem Grinsen, als er sie eingeholt hatte. »Ich wollt’ dich was fragen.«
»Ja?« Corrine drehte sich um und sah ihn an. »Was denn?«
Darren lachte und wurde rot. »Debs bringt mich um«, sagte er.
»Hä?« Corrine wusste nicht, ob sie auch grinsen sollte, oder ob er sie verarschen wollte.
»Naja«, setzte er an. »Ich wollt’ fragen … Was hast du da eigentlich an dem einen Abend auf dem Friedhof gemacht?«
Abrupt blieb Corrine auf der Düne vor dem Bunker stehen. Ihr fiel wieder die Stimme ein, die aus dem Fenster auf der anderen Straßenseite gerufen hatte, als Noj gerade mit dem Zauber angefangen hatte. Dann hatte sie Debbie vor Augen, die ihn vom Fenster wegzog und es schloss. Corrine stellten sich die Nackenhaare auf.
»Nein«, sagte sie, und ihre Pupillen weiteten sich.
»Sorry«, erwiderte Darren. »Ich hätt’ nicht fragen sollen.« Er klopfte ihr verlegen auf die Schulter. »Hör zu, vergiss die Frage einfach, okay? Du kannst hier warten, und ich hol dir dein Buch zurück. Dann sind wir wieder quitt.«
»Nein«, wiederholte Corrine. Die Vision aus dem Bunker kam zurück – rot, schwarz, weiß. Blut, Haar, Haut. Eine Klinge blitzte auf und schnitt durch Fleisch … Wie Sam sie mit dem Grashalm geschnitten hatte, als sie in einem Ritual Schwarzer Magie ihr Blut vermischt und sie Schwester genannt hatte, so dass ihre Schicksale auf immer ineinander verwoben waren … Corrine wusste plötzlich, was das alles bedeutete. Der Zauber hatte sich tatsächlich gegen sie gewandt. Und gegen den, der die Beschwörung unterbrochen hatte. Sie wusste, was passieren würde, wenn Darren in den Bunker ging …
Sie wollte ihn aufhalten, aber die Enthüllung des schrecklichen Schicksals hatte sie gelähmt.
»Geh nicht da rein«, krächzte sie. »Ist schon okay, Darren, ich hol’s mir irgendwann anders wieder. Komm, wir gehen.«
»Ach, Quatsch«, erwiderte Darren. »Sie tut mir schon nichts.«
Corrine streckte die Hand aus und hielt ihn am Ärmel fest. »Bitte, Darren! Geh nicht da rein!«
Aber Darren lachte nur und schüttelte ihre Hand ab. »Ist doch kein Problem, Corrine, echt nicht.«
»Aber …«
Corrine stand machtlos in der Abendsonne, als Darren die Düne hinunterging, am steilen Hang schneller wurde und Sand aufwirbelte. Sie konnte nur zusehen …
*
» Aaaaaahhh! « Der Schrei ging Corrine durch Mark und Bein, und sie kam wieder zu Bewusstsein.
Von Angst getrieben lief Corrine die Düne hinunter ins Dunkel des Bunkers, kam nicht rechtzeitig zum Stehen, stolperte über Darrens Beine und fiel halb auf ihn.
»Nein!«, schrie sie, und ihre Hände schrammten über Beton und Sand, aber die Angst übertönte den Schmerz. Darren bewegte sich nicht. Als sie sich aufrichten wollte, merkte sie,dass ihre rechte Hand mit etwas Warmem, Weißem, Klebrigem verschmiert war. Etwas, das Darren aus dem Kopf lief.
»Nein!« Sie strampelte, konnte sich aber immer noch nicht befreien.
» Aaaaaahhh! « Der Schrei kam von hinten und jagte ihr einen derartigen Schreck ein, dass sie in einer Ecke des Bunkers Schutz suchte.
Scharf umrissen vom Sonnenlicht hinter ihr stand Samantha breitbeinig im Eingang des
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