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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Sie sah sich das Messer in ihrer Hand an, verzog das Gesicht und warf es nach Corrine. Es traf die Wand und fiel neben ihr auf den Boden. Dann zog Samantha die Zigaretten und das Feuerzeug wieder aus der Tasche und ließ sie fallen. Sie ging rückwärts zum Ausgang und strauchelte ein paarmal.
    Draußen blinzelte sie gegen das Sonnenlicht, schaute an sich hinunter auf Hände und Beine.
    Dann rannte sie los.
    *
    Edna stand in der Küche und knetete Teig in einer Pyrex-Schüssel. Sie musste sich mit praktischer Arbeit beschäftigen, mit einem vertrauten Ritual, das sie von den schrecklichen Dingen ablenkte, die ihr durch den Kopf schwirrten.
    Von Waynes Anruf früh am Morgen, dass sie ihre zweite Enkelin nie sehen, nie in den Armen halten würde. Von der anderen, die irgendwo durch die Straßen irrte, wo selbst Erics beste Polizeikontakte sie nicht hatten finden können. Von der Aussöhnung mit Amanda, die jetzt nie stattfinden würde. Von all den Schmerzen, all dem Leid, die sie ihrer Tochter, ihren Enkelinnen und auch sich selbst mit ihrer Schwäche, ihrer sturen Blindheit gegenüber dem Offensichtlichen zugefügt hatte.
    Und von dem leeren Körbchen in der Ecke.
    Eine Frau mittleren Alters, die sich zwang, aufrecht in der Küche zu stehen, deren starrfrisierte Strähnen die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne einfingen, deren Hände den Teig kneteten und kneteten, deren Finger die Sorgen abarbeiteten, obwohl sie schon schmerzten, dass sie schreien wollte.
    Als es an der Hintertür hämmerte, blieb ihr fast das Herz stehen.
    Sammy drückte das Gesicht an die Scheibe. Es war mit Dreck und außerdem etwas anderem, Dunklerem verschmiert. Ihre tellergroßen Augen starrten sie ausdruckslos an. Einen Augenblick glaubte Edna, sie sehe eine Albtraumgestalt – einen Troll, einen Boggit oder eine Hexe mit wilder, hochstehender Mähne. Einen Augenblick riet ihr eine Stimme tief im Innern, dieses Etwas nicht über die Schwelle zu lassen, sondern es mit einem Kruzifix in der Hand zu verjagen. Dann ergriff sie ein Gefühl, das stärker war als die Angst, stärker als ihr Verstand. Die Liebe einer Großmutter.
    Edna lief auf Sammy zu, drehte den Schlüssel um, drückte die Klinke und trat zurück, als die Tür aufgeworfen wurde und Sammy ihr schluchzend in die Arme fiel und immer wieder sagte: » Oma, Oma, Oma. «
    *
    Edna badete Sammy und steckte sie ins Bett, bevor sie Eric anrief. Sie seifte und schrubbte ihre Enkelin ab, bis sie wieder wieneu aussah und all der Dreck und alles andere im Abfluss verschwunden waren. Dann wickelte sie sie in ihr größtes, flauschigstes, rosafarbenes Handtuch und sang ihr Lieder aus ihrer Kindheit vor, während sie ihr am Anziehtisch die Haare trocknete.
    Sammy ließ alles brav über sich ergehen, zog eins von Ednas Nachthemden an und kuschelte sich in dem Zimmer, das Edna unverändert für sie bereitgehalten hatte, ins Bett. Sobald Sammy mit dem Kopf auf dem Kissen lag, fielen ihr die Augen zu.
    Mit Sammys Klamotten über dem Arm schlich Edna nach unten in die Küche, stopfte sie in die Maschine und machte eine Kochwäsche an. Sie starrte lange durchs Glas, während die Sachen herumwirbelten.
    Als sie endlich Eric anrief, wusste sie nicht so recht, was sie sagen sollte. »Sammy ist da«, begann sie. »Sie ist oben und schläft.«
    »Gott sei Dank!«, sagte Eric und atmete langsam aus. »Weißt du, wo sie war? Was sie gemacht hat?«
    »Nein«, erwiderte Edna. »Aber ich glaube, sie steht unter Schock. Sie hat sich sehr komisch benommen.«
    »Weiß sie über Mandy Bescheid?«, fragte Eric.
    »Ich glaube nicht.« Edna fummelte am Telefonkabel herum. »Ich wollte sie nicht darauf ansprechen. Sie wirkte so …« Aber sie fand nicht das richtige Wort.
    »Nein, du hast recht.« Eric ersparte ihr die schmerzhafte Suche nach dem richtigen Ausdruck. »Lass sie schlafen. Ich sag Len, er kann seine Leute zurückpfeifen. Vielleicht kriegen wir es ja morgen aus ihr heraus.«
    »Kommst du nach Hause?« Ednas Stimme zitterte.
    Eric stellte das Glas Scotch ab, das er schon fast an den Lippen gehabt hatte. Vor dem Fenster wirbelten und flogen die Touristen durch das Neonlicht-Wunderland und brüllten vor Angst und Begeisterung, als sie über hölzerne Berge, bemalte Flugzeuge und rotierende, blinkende Räder sausten. Auf demTisch vor ihm hielt Amanda mit strahlendem Lächeln die kleine Samantha auf dem Arm.
    »Ich bin in zehn Minuten bei dir«, sagte er.

37
    DER PREIS
    März 2003
    Jason Blackburn stand vor

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