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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Testament.
    »Das ist Ihr Motiv«, erklärte er gelassen. »So war es auch bei Eric. Die Familie liegt im Herzen dieser Tragödie, Miss Ryman. Jetzt haben Sie es schon so weit geschafft. Wollen Sie denn nicht wissen, wie alles zusammenpasst?«
    *
    Draußen im Dunkeln hörte Mr Pearson einen Wagen auf seiner Schottereinfahrt zurücksetzen und dann davonrasen. Als er ums Haus gelaufen war, konnte er nur noch die Rücklichter in Richtung Brydon Bridge verschwinden sehen. Die Pfoten der Hunde knirschten über die Steine, als sie schwanzwedelnd zu ihm zurückkamen. Digby hatte etwas im Maul und drückte es seinem Herrchen in die Hand.
    »Was ist das denn, Junge?« Mr Pearson spürte etwas Schlaffes, Durchgeweichtes. »Oh Gott.«
    *
    »Vorbildliche Recherchearbeit«, sagte Francesca und starrte ihn mit ihrem Gorgonenblick an, wie ihre Mutter immer gesagt hatte. »Aber eins haben Sie doch vergessen: Sean Ward weiß das alles auch.«
    »Ach ja. Guter Junge, dieser Ward«, erwiderte Rivett mit sanfterem Gesichtsausdruck. »Aus dem hätte ich ’nen tapferen Soldaten machen können, wenn ich ihn früher getroffen hätte.« Er schüttelte reuevoll den Kopf. »Aber das hier ist nicht seine Stadt, und überhaupt glaube ich, dass er mittlerweile auf dem Heimweg ist. Er hat schließlich alles, was er wollte.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Von der DNA-Probe, die er wollte«, erklärte Rivett. »Ich hab ihn, hilfsbereit wie ich bin, zu der Person geführt, die er braucht. Sie waren nämlich beide auf der richtigen Fährte, Ihnen fehlte bloß ein wichtiges Detail. Schauen Sie mal.«
    Rivett zog etwas anderes aus dem Schreibtisch und gab es ihr. Ein altes, vergilbtes Foto von einer Frau in einem psychedelischen Kaftan mit passendem Kopftuch, aus dem blonde Haare fielen. Auf dem Arm hielt sie ein winziges Baby.
    »Erics Familie«, erklärte Rivett. »Seine Tochter Amanda und ihre kleine Samantha. Das Baby ist der Grund für alles hier. Auch dafür, dass Smollet gleich hierherkommt und sie daran hindert, dass Sie hier einbrechen und den Rest herausfinden. Leider glaube ich nicht, dass er rechtzeitig hier sein wird. Ward hat die DNA sicher schon abgeglichen, während Sie dieses Büro durchsucht haben. Nein, für den armen, alten Dale sieht’s gerade gar nicht gut aus. Genau wie Sie wusste er nicht so recht, worauf er sich einlässt.«
    Rivett griff in die Jackentasche und zog ein Paar weiße Zaubererhandschuhe hervor.
    »Andererseits wird es morgen eine großartige Schlagzeile geben«, sagte er, während er sie anzog. »Zu schade, dass Sie sie nicht mehr werden schreiben können.«
    Wie in Zeitlupe griff er wieder in die Tasche und holte eine kleine, flache Pistole heraus.
    »Tut mir leid«, sagte er und richtete die Waffe auf sie. »Aber so langsam ist unsere Zeit abgelaufen.«
    Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.
    »Da ruft sicher der DCI Ihretwegen an«, vermutete Rivett. »Und dann ist alles vorbei.«

38
    VOREILIGE BEERDIGUNG
    Juni 1984
    Als Gray am Montag, den 18. Juni, um sechs Uhr zur Wache kam, war es schon warm, und die Sonne stieg durch den blauen Himmel. Als er den Wagen abschloss, spürte er den Schweiß unter den Armen.
    In der Kantine lud er sich Eier, Speck und einen starken Tee aufs Tablett, denn so früh am Morgen kam er sonst nicht in die Gänge. Gray war die Nachtschicht eigentlich lieber, aber sie hatten zur Zeit nicht genug Leute da, weil viele nach Norden abberufen waren, um den Bergarbeiterstreik unter Kontrolle zu halten. Erst gestern war eine neue Busladung abgefahren, die sich auf den fetten Überstundenlohn freute.
    Gray schlürfte den Tee und verzog das Gesicht. Anders als die meisten anderen hatten er und Sandra nie für Margaret Thatcher gestimmt.
    »Na, worüber zerbrechen Sie sich den Kopf?«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    »Len?« Gray sah sich um.
    Der DCI zwinkerte ihm zu. »Wusst ich’s doch, dass ich Sie hier finde. Kommen Sie mal zu mir ins Büro, wenn Sie fertig sind. Würd’ gerne mal Ihre Meinung zu etwas hören.«
    Gray zog die Augenbrauen hoch. »Okay.«
    »Brav.« Rivett drückte ihm die Schulter und ging wieder.
    Gray spürte noch eine Weile den Abdruck seiner Finger. Er trank noch einen Schluck Tee und sah sein halb gegessenes Frühstück an. Unwillkürlich zuckte ihm eine Erinnerung durch den Kopf, und plötzlich wirkten die Eier mit Speck überhauptnicht mehr appetitlich. Er nahm das Tablett, entsorgte die Reste und lief die Treppe hinunter zu Rivetts Büro.
    Der DCI stand nicht

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