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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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passte nicht ganz nach Ernemouth. »Wie läuft’s bei dir heute Abend?«
    »Scheiße«, erwiderte Corrine und spuckte auf den Boden. »Wie immer.«
    »Hmmm.« Er musterte sie und zog wieder an der Zigarette. »Bei mir auch. Hast du genug, oder bleibst du noch?«
    Corrine zuckte die Schultern. »Reicht wohl«, sagte sie und rieb sich die Hände. »Hab aber keinen Bock, nach Hause zu gehen.«
    »Kannst mit zu mir, wenn du willst«, bot er an. »Da bist du sicher. Und ich kann dir was zeigen, was das alles hier« – er schaute kurz links und rechts die Promenade hinab – »ein bisschen erträglicher macht. Ich hab da was Neues entdeckt.«
    »Weiß nicht.« Corrine verzog das Gesicht. So ein Gefasel hatte sie bisher meistens von den bekifften Losern gehört, die ihre Mutter besuchten.
    Der Junge lachte. »Ach komm, Reenie. Mittlerweile hast du doch wohl kapiert, dass du vor mir keine Angst haben musst.«
    »Das mein ich doch gar nicht.« Corrine wurde rot. »Ich nehm bloß keine Drogen, wollt’ ich sagen.«
    »Keine Drogen«, erwiderte er und schüttelte den Kopf. »Magie …«

9
    DAS NÄCHTLICHE ICH
    März 2003
    Sean stand draußen auf der Eingangstreppee zum Ship Hotel. Während er weg gewesen war, war andere Musik aufgelegt worden, die jetzt von lautem Stimmengewirr unterlegt auf die Straße drang. Die Bar war voller Leute, die gegen Michael Jacksons pathetischen Einsatz zur Rettung der Erde anschrien.
    Francesca und er waren noch eine halbe Stunde bei Zwölf-Sterne-Metaxa in großen Cognacschwenkern, Kaffee und zypriotischem Lokum sitzen geblieben, das Keri ihnen mit seinem Filmstar-Lächeln aufs Haus serviert hatte. Wie versprochen blieb der Saal im ersten Stock bis neun Uhr leer, und sie hatten sich weiter über den Fall unterhalten. Francesca war anscheinend damit vertraut. Sie deutete an, dass Teile der damaligen Szene um Corrine immer noch das Lokal heimsuchten, das eine Generation Sonderlinge nach der anderen anzog und zur Zeit eine gewisse Renaissance erfuhr: Captain Swing’s Pub. Wenn er jemanden finden wollte, dessen Gedächtnis lang genug zurückreichte und der ihm einen Einblick in das damalige Ernemouth verschaffen konnte, sollte er dort suchen.
    Bevor sie vor dem Restaurant ins Taxi gestiegen war, hatte sie ihm einen braunen Umschlag mit Zeitungsausschnitten zugesteckt. Teilweise kenne er die Artikel sicher schon, aber es seien wirklich die interessantesten, die der Mercury gedruckt hatte. Warum sie sich da so sicher war, sagte sie nicht.
    Sean zog seinen Zimmerschlüssel aus der Jackentasche und ging hinein. Zwei Frauen, die im Flur standen und sich unterhielten, drehten sich um, als er hereinkam, und musterten ihnmit leuchtenden Augen. Eine dünne, farblose Blonde mit unterwürfigem Blick und eine kleine, stämmige Brünette, deren aggressiver Gesichtsausdruck nicht im Geringsten von ihrem fingerdicken Make-up abgemildert wurde.
    Auf seinem Weg durch den Flur spürte Sean die ganze Zeit ihre Blicke. Als er in seinem Zimmer war, legte er Francescas Umschlag aufs Bett. Durch die Dielen drang basslastige, melodiearme Musik hinauf, zu der eine überemotionale Möchtegern-Whitney sich die Seele aus dem Leib jaulte. Das sollte wohl Gute-Laune-Partymusik sein. Aber für Sean hörte es sich genauso an wie das, was in seinem alten Revier die Straßenschläger aus ihren Wohnblöcken dröhnen ließen: hysterisches Gebrüll über betäubender Leere – wie wenn es einen juckt, und man kann sich nicht kratzen.
    Seine Instinkte waren erwacht. Er ging ins Bad und zupfte sich mit Haarwachs die Frisur zurecht.
    Goths, Gruftis, Emos oder wie sie sich alle nannten – von denen hatte er im Laufe der Zeit eine Menge mitbekommen, bloß waren sie in London eher Gewaltopfer als Täter. Ihre Bildsprache aber war auf faszinierende Art und Weise mit der der Gangstas verknüpft: Beide waren von Horrorelementen fasziniert, von Totenköpfen, mexikanischen Ringermasken und Frakturlettern. Das waren wohl schon seit jeher die Markenzeichen jugendlicher Übeltäter.
    Er ging zurück ins Schlafzimmer, zog sein Hemd aus, hängte es in den Schrank und schlüpfte in ein schwarzes T-Shirt. Dann legte er seine Lederjacke an und schaute in den Spiegel.
    Zufrieden ging er wieder nach draußen, bog nach rechts ab und betrat die kleine Gasse hinter der Bank, so wie Francesca es ihm erklärt hatte. Die Schmerzen im Bein waren jetzt wegen eines Adrenalinschubs leichter zu ignorieren. Außerdem konnte er fast froh sein, dass er nicht mehr

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