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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Sie den kleinen, alten Buchladen nebenan gesehen?«, fragte Shaun. »Der alte Mr Farrer, dem der gehört, kann Ihnen da mehr erzählen. Der kennt sich mit der Geschichte der Stadt aus.«
    »Danke«, erwiderte Sean. »Dann geh ich den wohl mal besuchen. So, ich geb einen aus, was darf’s sein?«
    Er blieb noch eine halbe Stunde bei ihnen und ließ sich Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Shaun hatte sich mit der Abfindung von seinem alten Arbeitgeber eine Umschulung finanziert und arbeitete jetzt im IT-Bereich. Bugs war arbeitslos, seit die letzte Ölplattform abgewrackt war.
    Als Sean den Pub durch die Seitentür verließ, stieß er fast mit der Frau im Leopardenmantel zusammen, die draußen telefonierte.
    »Verzeihung«, sagte er und stützte sich an der Wand ab. Ein höllischer Schmerz schoss ihm durchs linke Bein, als hätte ihm jemand flüssiges Blei hineingespritzt.
    »Ich muss Schluss machen«, sagte die Frau ins Telefon. »Ja, bis morgen.« Dann wandte sie sich Sean zu. »Alles klar?« Was war bloß mit ihrer Stimme los? Sean biss die Zähne zusammen und sah sie an. Dichtes schwarzes Haar hüllte ihr Gesicht in Schatten, überhaupt waren die Straßenlaternen nicht allzu hell.
    »Ja«, erwiderte er und versuchte zu lächeln. »Alte Kriegsverletzung. Spielt gerne mal verrückt, wenn es kalt ist.«
    »Okay«, sagte sie und legte ihm einen kurzen Augenblick die Hand auf den Arm. »Dann machen Sie es mal gut.« Sie ging an ihm vorbei zurück in den Pub. Dabei bemerkte er ein seltsames Tattoo auf ihrer Hand: Zwischen Daumen und Zeigefinger starrte ein Auge heraus wie das, das griechische Fischer als Schutz gegen den Bösen Blick auf ihre Schiffe malten. Ihres war allerdings hellgrün und nicht blau.
    Bloß eine Verrückte in einer dunklen Gasse , dachte Sean und ging in Richtung Kai.

10
    THIS IS NOT A LOVE SONG
    Oktober 1983
    »Was bedeuten die Sachen auf Debbies Jacke eigentlich?«, fragte Samantha.
    Corrine schaute quer durch den Raum dorthin, wo ihre Nachbarin mit Darren und Julian zusammensaß und die besagte Jacke über einem Stuhl hing. Darauf waren ein Kopf und ein Stern abgebildet, links und rechts davon die Buchstaben M und R .
    »Keine Ahnung«, erwiderte Corrine, die ein bisschen genervt darüber war, dass Sam sich immer noch so für Debbie interessierte. »Irgend ’ne Band, die sie toll findet, glaub ich.«
    »Komische Band«, urteilte Samantha.
    »Stimmt«, sagte Corrine, »sie hat das ganze Zeug von Alex, der bei ihr nebenan wohnt. Der ist auf der Kunsthochschule, und sie muss ihm immer alles nachmachen.«
    Corrine wurde rot. Sie wusste nicht, warum sie so eifersüchtig war. Und wie sich alles in den paar Wochen derart verändert hatte.
    Nachdem Sams Oma sie angeschrien hatte, glaubte Corrine, sie dürfe diese Zauberwelt nie wieder betreten. Aber am nächsten Tag in der Schule tat Sam das Ganze einfach ab und sagte, sie habe das mit der Alten schon geregelt. Corrine solle sich keine Sorgen machen, und nächstes Wochenende würden sie wieder auf den Leisure Beach gehen. Sie könne Debbie auch mitnehmen, wenn sie wolle. Opa habe es erlaubt.
    Bei Corrine regten sich Gefühle, die sie so noch nicht gekannt hatte. Selbst ihre Begeisterung für Julian war schon lange vergessen.
    »Was soll an dem denn toll sein?«, fragte Samantha.
    Corrine schnaufte. »Der ist einer von den Gruftis«, erklärte sie. »Wie die beiden da.« Sie sah Darren und Julian böse an, wollte böse auf Debbie sein und redete sich ein, Debbie hätte sie links liegen lassen und nicht andersherum. »Die hängen die ganze Zeit im Swing’s rum. Machen einen auf ganz hart.«
    Julian starrte mit einem Lächeln zurück.
    »Okay«, sagte Samantha und nickte nachdenklich.
    Debbie schaute auf, und ihr zog sich der Magen zusammen. Samantha Lamb starrte sie an, und auch Corrine neben ihr schaute böse. Sie hatte nicht gemerkt, dass die beiden doch noch in den Kunstraum gekommen waren, aber sie hätte damit rechnen können. Das kleine Prinzesschen war wohl nicht damit zufrieden, dass sie ihr die beste Freundin ausgespannt hatte – sie wollte mehr. Das war schon daran zu erkennen, dass sie ihre vornehme Frisur aufgegeben hatte und jetzt auch einen schmalen Schlips und den obersten Blusenknopf offen trug wie Debbie selbst. Daran, dass sie sie die ganze Zeit mit Röntgenblick anstarrte und jeden Zentimeter ihrer Klamotten, ihrer Haare, ihrer Tasche analysierte …
    Samantha setzte ein Lächeln auf, also schaute Debbie schnell wieder auf das

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