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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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weiß doch jeder. Scheiß drauf, was der sagt. Dich mögen doch alle, Sam.«
    Sams Augen verrieten, dass sie das nicht glaubte. Corrine musste nachlegen. »Und wenn nicht, dann … dann mag ich die auch nicht.«
    »Echt?« Samanthas Blick wurde versöhnlicher, das Grün wurde vom Blau überflutet.
    »Ich steh immer zu dir, das weißt du doch«, versprach Corrine. »Ich lass mir von keinem irgend ’ne Scheiße bieten.«
    Samantha nickte feierlich. »Okay. Dann gib mir deinen kleinen Finger.«
    Corrine gehorchte.
    Samantha riss den Strandhaferhalm mit Druck über Corrines Fingerkuppe, die anfing zu bluten.
    Als Corrine die Hand wegziehen wollte, grub Samantha ihre Fingernägel hinein. »Nein, warte. Jetzt ich.«
    Der plötzliche Schmerz trieb Corrine die Tränen in die Augen. Nun sah sie zu, wie Sam das Gleiche mit ihrem eigenen Finger machte, ohne auch nur zu zucken. Dann drückte sie die beiden blutenden Finger aneinander und hielt sie mit der freien Hand fest.
    »Jetzt ist unser Blut vermischt«, verkündete sie mit bohrendem Blick, »jetzt sind wir Schwestern. Niemand weiß es außer uns. Und ab jetzt teilen wir all unsere Geheimnisse. Okay?«
    Gefangen in Sams Blick nickte Corrine.
    »Super!«, sagte Sam, ließ Corrines Hand los und sprang auf. »Komm, wir gehen zu Oma. Die hat uns Kuchen gebacken. Los, wer als Erstes da ist!«
    Damit sprintete sie über die Dünen, und die verwirrte Corrine kam kaum hinterher.
    *
    Edna saß mit Magenschmerzen am Küchentisch. Ihr Blick zuckte zwischen der Decke und der Uhr hin und her, wo die Minuten langsam auf sieben zuschlichen. Auf ihrem steifen Schoß wurde Noodles fast totgestreichelt.
    Edna wünschte, sie hätte den Röntgenblick, sie könnte sehen, was da oben im Kinderzimmer zwischen ihrer Enkelin und dieser … Person geschah, die sie mit nach Hause gebracht hatte. Sie wünschte, Eric würde endlich nach Hause kommen, und bekam einfach nicht genug Mut zusammen, nach oben zu gehen und Sammys Gast zum Gehen aufzufordern, weil morgen doch Schule war …
    Sie und Eric hatten sich so darauf gefreut, die neue Schulfreundin ihrer Enkelin kennenzulernen. Bis sie Corrine Woodrow die Haustür aufgemacht und ihre grell gesträhnten, starren Locken, ihren violetten Lidschatten und Lippenstift gesehen hatte. Edna verzog das Gesicht bei der Erinnerung an die Hand, die nach ihren Cupcakes gegriffen hatte: schwarzlackierte Fingernägel in einem Spitzenhandschuh – Diebeshände, da war sie sich sicher.
    Jetzt wollte Noodles sich nicht mehr in die Oberschenkel seines Frauchens einkneten lassen – er sah auf, kläffte, sprang auf den Boden und brachte sein handschweißnasses Fell mit heftigem Schütteln wieder in Form. Dann warf er einen Blick über die Schulter, als wollte er sagen: Wenn du das nicht regelst, mach’ ich es eben , und lief flink die Treppe hinauf.
    *
    »So«, sagte Corrine und trat vom Hocker zurück, damit Sam sich im Spiegel ansehen konnte. »Wie findstes?«
    Samantha betrachtete ihr neues Aussehen mit kühlem Blick. Das Haar war hochtoupiert, die Augenbrauen gezupft und nachgezeichnet. Schwarzer Eyeliner und dickes Mascara stießen auf schockierenden pink-gelben Lidschatten, leuchtende, hart umrissene Rouge-Streifen auf beiden Wangen und schwarz konturierte, mit lila Gloss gefärbte Clara-Bow-Lippen.
    Corrine schaute vom Spiegel auf die Palette in ihrer Hand – eine Reihe von Kussmündern von Bonbonrosa bis Mauve nebst eines süßen kleinen Pinselchens zum Auftragen. »Echt genial«, sagte sie. »Die hast du bestimmt aus London. Hier hab ich so was noch nie gesehn, sonst hätt’ ich’s …« Geklaut, hatte sie sagen wollen, aber sich gerade noch zusammengerissen.
    »Kannst du behalten«, bot Samantha beiläufig an und betrachtete sich aus einem anderen Winkel. Am Spiegel des Ankleidetischs hing ein Bild von Siouxsie Sioux aus dem Record Mirror . Im Laufe der vergangenen Stunde hatte Corrine diesenLook mit vollem Einsatz nachgeahmt, während Tommy Vance im Transistorradio auf der Fensterbank die Top 40 herunterzählte.
    »Du kannst das ja richtig«, urteilte Samantha.
    »Ich will ja auch mal Kosmetikerin werden«, erwiderte Corrine und wurde rot. Das hatte sie bisher noch niemandem anvertraut, nicht mal Debbie. Es war einfach aus ihr herausgeplatzt. Aber schließlich waren Sam und sie jetzt ja Schwestern …
    »Zeichnen kannst du bestimmt auch, oder?«, fragte Samantha.
    »Och ja, einigermaßen«, erwiderte Corrine. »Ich … Oh, warte, wer ist das denn?« Sie

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