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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Sonderangebotsposter, und jeder Laden wurde von Türstehern bewacht. Die kahlrasierten Männer glotzten gelangweilt in die Straße, während Vocoder-Chart-Hits durch die halbleeren Säle plärrten. Durch die Tür einer Bar sah Sean Francescas Anzeigenredakteur und seine beiden Protégés, die zusammen Bier tranken. In der modernen Stehtisch-Einrichtung sah man umso deutlicher, wie wenig los war.
    Als er am Büro des Mercury vorbeikam, brannte oben noch Licht. Er fragte sich, ob Francesca von dem Besuch bei der Sozialarbeiterin zurück war. Dann dachte er wieder darüber nach, was sie sich wohl an einem Ort wie diesem beweisen wollte. Oder wovor sie davonlief. Er war versucht, einfach zu klingeln und sie zu fragen.
    Aber er spazierte weiter. Diesmal ging er einen anderen Weg, am Marktplatz vorbei. Abgesehen von dem großen Kaufhaus aus den Dreißigern, zu dem der Parkplatz vor Swing’s gehörte, befanden sich in fast allen anderen Gebäuden Geschäfte von Wohltätigkeitsorganisationen und Ramschläden. Sean musste daran denken, was Bugs über das Öl in der Nordsee gesagt hatte. Von dem ganzen Geld war nirgends mehr etwas zu sehen.
    Sean bog links in die Market Row. Rivett hatte gesagt, dass dort der Biker-Pub war. The Back Room stand auf einem roten Schild über einer schmalen Gasse zwischen zwei Fachwerkhäusern. Die Musik, die durch die Wände wummerte, war anders als auf der King Street: »Smoke on the Water« von Deep Purple. Im Vorbeigehen beschloss er, dort vielleicht am nächsten Abend mal hineinzugehen. Aber er war noch nicht mit den Gästen des Swing’s durch.
    Sean dachte an das grüne Augen-Tattoo des Goth-Mädchens. Sie war ihm den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen. Als er am Ende der Straße links abbog, gestand er sich ein, dass er heute Abend vor allem ihr begegnen wollte.
    Als er hineinging, sah er Shaun und Bugs genau am selben Platz sitzen wie am Vorabend, nur hatten sie diesmal vor sich auf der Bar eine Zeitung ausgebreitet.
    Es lief ein Song, den er noch nie gehört hatte. Dramatisch, fast opernhaft: Saiteninstrumente und kraftvolles Klavier, ein Mann, der mit Baritonstimme über Himmel, Sterne und Monde sang.
    »Hab doch gesagt, der kommt wieder.« Shaun, der die Tür im Blick hatte, stieß Bugs an, der der Bar zugewandt saß. »Alles klar, Mann?«
    »N’Abend, Mr Ward«, sagte Bugs, stellte ein leeres Pint-Glas auf die Bar und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Nennt mich Sean, bitte«, erwiderte er. »Ich schulde euch noch ’nen Drink. In Farrers Buchladen gab’s wirklich was zu Captain Swing. Interessanter Kauz, der alte Mr Farrer, oder?«
    »Kann man so sagen«, erwiderte Bugs mit angedeutetem Lächeln.
    »Hat Ihnen bestimmt weitergeholfen, oder?« Auch Shaun grinste.
    »Auf jeden Fall.« Sean nickte und beobachtete aus dem Augenwinkel den Wirt, der mit dem Biker sprach, mit dem sich die Frau mit dem Tattoo am vorigen Abend unterhalten hatte. Er ließ den Blick kurz über die Billardtische schweifen. Dort war sie nicht. Bully und Kris auch nicht. Am Ende der Bar hockten die jüngeren Emos beieinander. Dieser Pub war auf jeden Fall besser besucht als alle anderen, an denen er vorbeigekommen war.
    »Also, was darf’s sein?«, fragte Sean.
    »Ein Pint Adnams, bitte«, erwiderte Shaun.
    »Für mich auch.« Bugs nickte auf den Zapfhahn. Das sah Farman, brach das Gespräch mit dem Biker ab, kam zu ihnen und rieb sich die Fäuste an der Brust.
    »Hatten Sie Sehnsucht nach uns?«, fragte er Sean. »Schön, Sie wiederzusehen, Mr Ward. Was darf’s sein?«
    »Zwei Adnams und ein Foster’s«, antwortete Sean.
    »Haben Sie denn ein Buch gekriegt?«, fragte Shaun. »Sind Bilder vom Captain drin?«
    »Nein.« Sean lächelte. »Wie auch? Das war ja das Geniale. Der Captain war jeder und keiner. Ein Phantom. Da es ihn nicht gab, konnte er auch nicht gefasst werden. Jeder in der Gegend, der lesen und schreiben konnte, konnte sich für ihn ausgeben. Oft waren es Drucker oder deren Mitarbeiter, die Pamphlete vervielfältigen konnten. Das Bild auf Ihrem Schild ist genauso akkurat wie jedes andere auch.«
    »Ha«, sagte Bugs und hob das Glas, das Farman ihm gegeben hatte. »Da wird man ja richtig stolz, was?«
    »Das kann man wohl sagen«, erwiderte Farman, der das letzte Pint zapfte.
    »Deshalb war er auch so gefährlich.« Sean fielen weitere Details aus dem Buch ein. »Und wissen Sie auch, warum er so hieß? Die Leute haben damals Puppen der Landbesitzer vor der Haustür

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