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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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unterhalten«, erklärte Sean. »Ich bin eine Zeitlang in der Stadt. Hätten Sie vielleicht morgen eine Stunde für mich Zeit?«
    »Ich kann mich wohl kaum weigern, was?«, sagte Gray.
    Sean ignorierte den müden Sarkasmus. »Wann würd’s Ihnen passen?«
    Wieder seufzte Gray. »Dann kommen Sie mal vorbei. 48, Sandringham Avenue. So um zehn wär gut, da ist meine Frau bei der Arbeit. Ich will sie damit nicht belasten.«
    »Alles klar.« Sean tippte den Termin und Grays Nummer ins Handy. »Vielen Dank, Mr Gray. Wird nicht lange dauern, hoffe ich.«
    »Okay«, erwiderte Gray. »Bis dann.«
    Rivett war zum Drucker gegangen, der die Daten ausspuckte, die er auf dem PC gefunden hatte. Er kam mit einer Handvoll Seiten zurück. »Das hier sind die Reste der Biker-Gang, mit der sich die alte Ma Woodrow rumgetrieben hat. Die, die nicht auf der Acle Straight unter ’nen Laster gekommen sind. Kann aber sein, dass die schon ein paar Gliedmaßen verloren haben. Passiert bei denen irgendwie mit der Zeit.«
    Er legte die Ausdrucke neben Seans Laptop. »Brauchen Sie noch irgendwas?«
    »Hmm«, Sean warf einen Blick auf die Desktop-Uhr seines Computers: kurz vor achtzehn Uhr. »Ich hab Sie für einen Tag schon genug beansprucht, Len.«
    Rivett rümpfte die Nase. Sean hatte das Gefühl, dass er die Arbeit gerne bis in die Nacht ausgedehnt hätte, ganz wie früher, das Ganze abgerundet mit ein paar Gläsern in seinem Büro. Aber da, wo Sean hinwollte, konnte er den alten DCI wirklich nicht gebrauchen. Er wollte ihn aber auch nicht unnötig verärgern.
    »Ehrlich gesagt«, erklärte Sean, »bringen mich meine Beine gerade um. Wenn ich mich nicht zweimal am Tag eine halbe Stunde hinlege, funktioniere ich nicht mehr richtig. Ich geb’s nur ungern zu, aber gerade bin ich an so einem Punkt angekommen.«
    Rivetts Züge entspannten sich. »Natürlich«, sagte er. »Hab gar nicht daran gedacht. Gehen Sie ruhig, ich lass Alf das Ganze hier abschließen, und wir machen morgen weiter.«
    »Danke«, erwiderte Sean. »Sie sind ein guter Mann.«
    »So sagt man«, antwortete Rivett mit einem Zwinkern.
    *
    Rivett beobachtete Sean, als er ins Ship Hotel ging, und stellte sich die Schusswunden vor. Der Mann behielt seine Würde und ließ sich die Schmerzen nicht anmerken. Das bewunderte Rivett. Er war anders als die ganzen Wichtigtuer von der Metropolitan Police, die er bisher getroffen hatte. Ward war ein Denker, kein Großmaul, das merkte er.
    Dank seiner Vertrautheit mit dem komplexen Ernemouther Einbahnstraßensystem war Rivett vor Ward angekommen und hatte seinen Wagen außer Sichtweite geparkt. Er wollte nur sichergehen, dass Ward ihm keine Märchen über sein Bein erzählt hatte und ihn eigentlich so früh am Abend schon loswerden wollte.
    Er wartete eine Weile an der Ecke, holte sein Handy heraus und schaute alle paar Sekunden nach neuen Nachrichten. Als Sean nach einer Viertelstunde nicht wieder herausgekommen war, steckte er es wieder ein, ging zu seinem Rover und fuhr an die Promenade. Dann an den Blinklichtern vorbei, an den Resten vom Trafalgar Pier, den lockenden Fenstern der Loge in Richtung Leisure Beach.
    Außerhalb der Saison bot der Ort einen unheimlichen Anblick. Die dunklen Hügel der Achterbahn warfen im Licht der Straßenlaternen Schatten, ebenso wie die Skelette des Riesenrads und der Karusselle und die stillen Türme. Rivett zeigte dem Wachmann am Mitarbeiterparkplatz seinen Ausweis und wurde durchgewunken.
    Rivett schmeckte Salz, als er durch das verlassene Königreich auf den Turm in der Mitte zuging, wo ganz oben ein einsames Licht vor dem schwarzen Himmel glomm. Er fuhr mit dem Aufzug nach oben und klopfte an die Bürotür.
    *
    Sean ging ein Stück den Kai entlang und schlug dann einen Bogen zurück Richtung Innenstadt. Er wollte die Stadt mit den Augen der Einheimischen sehen und war der Überzeugung, dass man zu Fuß ein viel besseres Gefühl für einen neuen Ort bekam.
    Seine Beine hatten ihm wirklich übel mitgespielt, das war nicht nur ein Vorwand gewesen. Aber nach den Pillen, einem halbstündigen Schläfchen und ein paar Seiten von Mr Farrers Buch ging es ihm besser als bei seiner Ankunft in der Stadt. Er wusste, dass seine Probleme teilweise psychologisch bedingt waren – jetzt aber hatte er eine Spur, und ein Adrenalinschub trieb ihn die King Street entlang.
    Diesmal kam er aus der anderen Richtung als am Abend vorher und sah eine Disco und drei Pubs gleich nebeneinander. In allen Fenstern klebten

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