Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
das rein juristisch nicht stimmte. Aber wenn Angelika Sacher keine wirklichen Indizien zu ihrer Entlastung bieten konnte, blieb sie momentan die Verdächtige Nummer eins. Zumal ihr Liebhaber einen Wagen fuhr, mit dem man die Leiche gut am Woog hätte loswerden können.
»Wie lange kennen Sie Gerhard Weller?«
»Wir kennen uns seit zwei Jahren. Und seit einem Jahr und elf Monaten sind wir – ein Paar.«
»Ihr Mann …«
»Nein, er wusste nichts. Aber ich glaube, es hätte ihn auch nicht interessiert. Er hatte seine eigenen Mädchen laufen. Was mich übrigens nicht interessiert hat.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ganz einfach. Die Ehe mit meinem Mann war die Hölle. Aber ich war wirtschaftlich von ihm abhängig. Ich habe mein Studium abgebrochen, als wir geheiratet haben. Ein Semester vor dem Magister. Geschichte. In Frankfurt. Dann kam auch sofort Bruno auf die Welt. Also blieb ich zu Hause.«
»Und Sie haben nicht überlegt, sich von ihm zu trennen?«
»Meine Ausbildung besteht aus dem Abitur und dem Führerschein. Und ich habe einen Sohn. Damals habe ich mit Emil Gütertrennung vereinbart – ich war ja so was von naiv. Vergessen Sie es. Er hat die Anwälte, die er bezahlen kann. Ich wollte meinem Sohn ersparen, mit mir auf Sozialhilfeniveau leben zu müssen, bis uns die Gerichte irgendwann einmal etwas Unterhalt zugebilligt hätten. Vielleicht war das falsch. Wahrscheinlich. Vielleicht wäre er dann, obwohl wir wenig gehabt hätten, nicht auf die schiefe Bahn geraten.
Ich bin auf andere Art geflüchtet. Habe mir langsam, aber sicher die Realität weggetrunken. Habe nicht wahrgenommen, dass das für meinen Sohn mindestens ebenso schwer war wie ein Leben mit wenig Geld. Ich habe gesoffen. Nein, keinen Schnaps, ich war ja kein Penner. Ich brachte es in meinen besten Zeiten nur auf drei bis vier Flaschen Sekt am Tag.
Ich musste ja auch mit Emil immer wieder bei offiziellen Anlässen an der Uni erscheinen. Und vor zwei Jahren, da ist dann die Katastrophe passiert. Ich habe einen Sekt zu viel getrunken und die Kontrolle verloren. Ihn vulgär angepöbelt. Vor allen Leuten. Emil hat Gerhard nur einen Blick zugeworfen. Ein schicksalhafter Moment. Denn Gerhard trat neben mich, legte seine Hand auf meine. Flüsterte: ›Angelika, ich bringe Sie jetzt nach Hause.‹«
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zeigte sich auf Angelika Sachers Gesicht.
Horndeich schwieg.
»Das hat er dann auch getan. Mich ins Haus gebracht. Er war so gar nicht mein Typ, aber ich habe versucht, ihn zu küssen. Er hat es abgewehrt. Mich auf dem Sofa abgesetzt. Mir ein Glas Wasser gebracht. Und mir einen Kaffee gemacht. Dann setzte er sich mir gegenüber. Und sagte: ›Sie haben jeglichen Kontakt zu sich selbst und der Welt verloren, nicht wahr?‹ Daraufhin fingen wir an zu reden. Eine Stunde später lag ich weinend in seinen Armen. Tränen, die ich seit Jahren nicht geweint hatte. Nur verdrängt.«
»Und dann nahm er Sie mit zu diesem …«, Horndeich suchte nach einem treffenden Wort, »… Hexenspuk-Club?«
»Nein, nicht gleich. Wir trafen uns, heimlich. Gingen viel spazieren. Er erzählte mir, wie er vor Jahren vor seinem eigenen Scheideweg gestanden hatte. Auch seine Ehe war gescheitert. Er war geschieden, hatte das Kind an die Mutter verloren. Er hatte vor einem Abgrund gestanden. Wie ich. Er hat lange gesucht, bis er gemerkt hat, wie sehr ihm die Verbindung zu unseren Schöpfern fehlte. Wie hohl für ihn die Rituale der Kirche waren. Da hat er begonnen, sich für Wicca zu interessieren. Zunächst nur für sich allein. Er meditierte, er erprobte die Rituale, fand seine eigenen und wurde zu einem Magier.«
»Was ist das? Ein Zauberer?«
Angelika lächelte Horndeich an. »Ja, inklusive der Kaninchen aus dem Hut.«
Sie machte eine Pause. »Wenn Sie sich darauf einlassen, wenn Sie Ihre Antennen nutzen, statt sie zu ignorieren, dann können Sie die Energien spüren, die Kräfte, die um uns sind, die sich überall in der Natur offenbaren. Und wenn Sie es wollen, dann können Sie diese Energien lenken. Und sich von Ihnen Kraft geben lassen. Von der Göttin und dem Gott.«
Horndeich sagte nichts. Das fiel für ihn alles in die Yin- Yang-Feng-Shui-Schublade. Er konnte mit derlei Dingen überhaupt nichts anfangen.
»Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben. Das macht nichts. Nur, weil man an etwas nicht glaubt, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt.«
»Und wie lange sind Sie jetzt Mitglied dieses Clubs?«
»Des Covens.
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