Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
vorbei, und Margot merkte, dass sie den Sinn gar nicht erfasste. Ihre Gedanken waren bei Rainer – und bei seiner Rhonda. Tränen traten ihr in die Augen. Zeit, schlafen zu gehen. Hoffentlich würde sie die beiden nie wiedersehen.
Und vielleicht sollte sie Doro doch nach ihren magischen Riten befragen. Vielleicht hatte die ja einen netten Impotenz-zauber parat.
FREITAG, 22. JUNI
Horndeich fuhr ins Präsidium. Schon jetzt, um halb acht, lag die Schwüle drückend auf den Schultern. Sicher würde es vor Mittag schon das nächste Gewitter geben.
Er hatte das CD-Radio des Leihwagens eingeschaltet. Die CD mit Liedern seiner momentanen Lieblingsserie dudelte aus den Lautsprechern. True Blood handelte von der friedlichen Koexistenz von Vampiren und Menschen und spielte in der Gegenwart im Süden der USA. Horndeich mochte besonders den Soundtrack. Die moorige Schwüle, die in den einzelnen Stücken vibrierte, passte zudem besonders zur aktuellen Darmstädter Wetterlage.
Horndeich hatte in der Nacht schlecht geschlafen. Es passierte ihm selten, dass er aktuelle Fälle in seine Träume einarbeitete. Er konnte sich an keine Details mehr erinnern, aber er war mehrfach aufgewacht, nachdem er im Traum Bilder des vergangenen Tages auf der Kinoleinwand im Kopf gesehen hatte. Einmal hatte Sandra ihn geweckt. Ein anderes Mal Ches Zunge. Offenbar hatte er im Schlaf gestöhnt, was den kleinen Chihuahua, der seit einem Jahr bei ihnen lebte, wohl erschreckt hatte. Der Hund durfte nicht ins Schlafzimmer. Aber er hatte sich anscheinend aus Angst um sein Herrchen darüber hinweggesetzt.
Der Fall war seltsam. Horndeich grübelte über zwei Dinge nach: Was war das Motiv dafür, jemanden auf solch eine Art umzubringen? Wieder und wieder ging er die möglichen Motive durch: Wollte jemand ein Zeichen setzen? Jemandem eine Warnung zukommen lassen? In der Art wie: Geh bloß nicht so mies mit deinen Studenten um wie dieser Professor? Blödsinn. In Sizilien, da hätte solch eine Hinrichtung eine Warnung sein können. Hier in der verschlafenen Residenzstadt Darmstadt? Im Woog? Das war einfach nur lächerlich.
Blieb das nächste Motiv: Rache. Aber wofür?
Oder Hass. Das erschien Horndeich noch am wahrscheinlichsten. Hatte Frau Sacher ihren Mann gehasst? Hatte ihr Freund ihr geholfen, den Ehemann zu beseitigen?
Dagegen sprach eine weitere Überlegung: Der Mann war vor seinem Tod zwei Wochen lang verschollen gewesen. Wo? Bei wem? Im Keller der Frau? Geknebelt? Einem ungewissen Schicksal entgegensehend? Hinrich hatte gestern noch eine Mail geschickt: Das Wasser in der Lunge des Toten war eindeutig Wasser aus dem Badesee. Das hieß, dass eine eventuelle Theorie, nach der Sacher schon vor drei Wochen woanders getötet und zwischenzeitlich eingefroren worden war, extrem unwahrscheinlich war. Zumal er zusätzlich zu den frischen Fesselspuren noch ältere aufwies, die von schmalen Kabelbindern herrühren mussten.
Jace Everett unterbrach Horndeichs Gedanken und stimmte sein momentanes Lieblingslied an:
When you came in, the air went out.
And every shadow filled up with doubt,
I don’t know who you think you are
but before the night is through
I wanna do bad things with you.
Horndeich übersetzte für sich:
Als du reinkamst – ging die Luft aus.
Und jeder Schatten füllte sich mit Zweifeln.
Ich weiß nicht, wer du glaubst, dass du bist,
Aber bevor die Nacht vorbei ist,
möcht’ ich schlimme Dinge mit dir tun.
Die Stimme war säuselnd, fast freundlich, aber Jace machte seinen Standpunkt sehr, sehr deutlich. Und mit einem Mal war sich Horndeich gar nicht mehr sicher, ob Jace das nur auf die unglückselige Person bezog, die da gerade den Raum betrat. Oder ob Jace dieses Liedlein schon an vielen Orten gesungen, sein Ding durchgezogen hatte und weitergereist war.
Horndeich erreichte das Präsidium, blieb im Wagen sitzen und hörte das Lied bis zum Schluss an. Ein Schauder zog durch seinen Körper: Vielleicht war Sacher gar nicht das erste Opfer des Mörders?
Wenige Minuten später am Rechner überlegte er, wie er weiter vorgehen sollte.
Fesselungen. Vielleicht war das das verbindende Element. Er ließ die Anfrage durch die Datenbank laufen. Zunächst hatte er die Suche auf Hessen und das vergangene Jahr begrenzt.
In Frankfurt hatte es vor einem Jahr einen Mord gegeben, bei dem ein Mann gefesselt worden war, bevor ein .38-Geschoss seinem Leben ein Ende bereitet hatte. Aber der Fall gehörte ziemlich eindeutig zur Kategorie der
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