Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
Finanzgenie der Firma. Als er starb – das war auch aus finanziellen Gründen ein ziemlicher Schock für die Firma. Wissen Sie, mein Vater hatte seine Nachfolge vorbildlich geregelt. Über einen Zeitraum von zehn Jahren hat er Till und mir die Firma Stück für Stück übertragen. Alles steuerlich optimal geregelt. Nachdem er sich 2005 komplett zurückgezogen hat, hat er noch fünf schöne Jahre verbracht.
Aber wir – mein Gott, Till und ich, wir hatten doch untereinander keinen Nachfolgeplan. Till war gerade dabei, die Feier für seinen Vierzigsten zu planen, als er umgebracht wurde. Und ich bin auch erst vierundvierzig. Für so einen Fall, da gab es keinen Masterplan. Ich hatte ein echtes Problem. Im Mai, da habe ich jemanden von einem Konkurrenten abwerben können. Das bewahrt uns vor dem Schlimmsten. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn der Bruder sich darum kümmert. Verstehen Sie mich nicht falsch. Hansen und Söhne fährt nicht gegen die Wand. Aber es kostet Geld und Zeit, den Verlust meines Bruders in der Firma auszugleichen.«
Margot nickte. »Wie war Ihr Kontakt zueinander – ich meine, vor 2005, bevor Sie die Firma übernommen haben?«
»Ich habe in Hamburg-Harburg studiert. Schiffbau. Till ist nach Darmstadt gegangen. Hat dort Wirtschaftsinformatik studiert. Und auch immer alles am Schiffbau orientiert. Lustig, in einer Stadt, die nicht mal an einem Fluss liegt und deren größtes Gewässer dieser komische Badesee ist. Woog oder so, nicht wahr?«
»Ja. Woog. Das stimmt.«
»Ein Jahr, nachdem er mit dem Studium begonnen hat, bin ich schon in die Firma eingestiegen. Nach dem Studium kam er zurück nach Hamburg und hat ebenfalls sofort in der Firma angefangen. Aber er war auch davor schon während der Semesterferien immer wieder für ein paar Wochen hier. Schon vier Jahre nach seinem Studium haben wir die Firma zu dritt geleitet – es hat funktioniert. Mein alter Herr war der Mann mit den Visionen, Till der Rechenchef und ich der Praktiker. Als Vater und Ehemann war mein Vater ein strenger Patriarch gewesen. Aber seit er uns in die Firma aufgenommen hatte, waren wir wirklich gleichberechtigte Partner. Wichtige Entscheidungen haben wir immer zu dritt gefällt. Mal gute, mal schlechte. Manchmal hat es Stunden gedauert, bis wir eine Lösung hatten, die alle drei zusammen zu tragen bereit waren. Aber meistens eher eine Viertelstunde. Bauchgefühl und Instinkt – auch wenn man mit großen Summen jongliert, wiegt das eine ganze Menge.«
»Und wie war Ihr Kontakt privat untereinander?«
Margot hatte den Eindruck, dass sich Jonne Hansens Gesichtsausdruck veränderte, für einen winzigen Moment nur.
»Privat? Wir haben uns geliebt. Natürlich, Brüder lieben sich per Definition. Und wir waren füreinander da. Immer. Er für mich und ich für ihn. Und wenn einer Mist baute, dann hat ihm der andere den Arsch gerettet.« Er machte eine kurze Pause. »Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, aber genau so war es. Auch wenn ich heute wieder einigermaßen gefasst bin – er fehlt mir. Es gibt keinen Tag, an dem er mir nicht fehlt. Und auch das klingt wie ein Klischee, aber es ist wahr.«
»War Ihr Bruder irgendwie gebunden?«, lenkte Margot auf ein anderes Thema.
»Wenn Sie damit die Frauen meinen – nein. Bindung an das weibliche Geschlecht war nicht so seine Stärke. Mein kleiner Bruder war da das genaue Gegenteil von mir. Ich bin mit meiner Frau seit zwanzig Jahren verheiratet, wir haben vier Kinder, die Jüngste ist jetzt zehn. Aber das wäre für Till nicht infrage gekommen. Er hatte immer wieder Frauen an seiner Seite – aber nichts, was länger als ein Jahr gedauert hätte. Und auch nichts, was ihn über die Dauer der Beziehung hinaus Geld gekostet hätte. Da war er immer sehr – vorsichtig.«
»War da jemand, der vielleicht etwas nachtragend war?«
Jonne Hansen lachte auf. »Till hat die Mädels sicher nicht nur glücklich gemacht. Aber es war auch keine dabei, der es nach der Beziehung mit Till schlechter gegangen wäre als davor.«
»Sicher?«
Jonne Hansen sah Margot nun direkt an. »Sicher. Er war in seinen – nennen wir es ›Abfindungen‹ – immer sehr großzügig. Seine Katastrophen mit den Frauen, mein Gott, darüber hat er mir immer erzählt – mehr, als mir lieb war.«
»Zum Beispiel?« Kommissarinnenreflex, die Frage.
»Frau Hesgart, Sie wollen jetzt keine Geständnisse über Verfehlungen, die lange verjährt sind, oder?«
Hansen lachte, aber Margot meinte, einen
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