Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
entzweit. Da die Ersteren das Fechten nicht lernen müssen, werden sie die ›Löffel-Germanen‹ genannt. Die anderen, die Mensuren schlagen, sind die ›Messer-Germanen‹.«
»Ich verstehe schon wieder nichts. Mensur?« Diesmal war es Margot, die um eine Übersetzung bat.
»Der Fechtkampf in schlagenden Verbindungen. Nach festen Regeln.«
»Bei dem man sich dann die Schmisse einfängt, nicht wahr?«, ergänzte Horndeich, der endlich einmal etwas aus dem Metier der Verbindungen kannte, ohne vorher gefragt zu haben.
»Kann, muss aber nicht.«
»Okay, halten wir fest. Die drei waren dicke Freunde. Auch ein vierter Student gehörte dazu: Philipp Kaufmann. Wo wohnt der?«
»Philipp wohnt auch hier in Darmstadt. Ich gebe Ihnen die Adresse. Und die Telefonnummer.«
»Wunderbar.« Horndeich und Margot warfen sich einen Blick zu. Mehr gab es im Moment nicht zu erfahren.
Bei der Verabschiedung drückte Ruprecht Margot noch die Kopien der Teilnehmerlisten der Vorträge in die Hand. »Vielleicht können Sie die ja brauchen.«
Margot bedankte sich.
Als die beiden das Haus verließen, meinte Margot: »Das ist nicht meine Welt.«
Horndeich schüttelte den Kopf. »Meine auch nicht.«
Sie griff zum Handy und rief den Kollegen in Hamburg an, mit dem Horndeich auch schon gesprochen hatte. Margot hatte Horndeich gestern schon berichtetet, was sie in der Hansestadt erlebt hatte. Inklusive E-Type-Cabrio-Fahrt.
Margot gab Karlsson die Namen der anderen drei Freunde – nein, Bundesbrüder – von Hansen durch und bat den Kollegen, seine Unterlagen noch mal auf Verbindungen abzuklopfen.
»Wir sollten uns möglichst bald mal mit diesem Philipp Kaufmann unterhalten«, meinte Margot nach dem Telefonat, während sie bereits die Listen durchblätterte. Dann stieß sie einen leisen Pfiff aus. »Da haben sie ja eine Koryphäe engagiert. Den Vortrag über das jüdische Darmstadt hat der Vize des Zentralrats der Juden in Deutschland gehalten.«
»Ich dachte immer, diese ganzen Verbindungen sind rechts außen«, meinte Horndeich.
»Der, der den Napoleon-Vortrag gehalten hat, den kenne ich nicht.«
Sie blätterte weiter. Dann blieb sie unvermittelt stehen. »Das glaub ich jetzt nicht.«
»Was?«
»Weißt du, wer den Frauen-Vortrag gehalten hat?«
»Alice Schwarzer?«
»Nein. Ruth Steiner.«
»Den Namen habe ich doch schon mal gehört«, erinnerte sich Horndeich.
»Ja. Das ist die Buchhändlerin. Die, bei der …«
»… deine Doro arbeitet.«
»Das ist nicht meine Doro«, parierte Margot spontan.
Horndeich sah seine Kollegin an. Die entgegnete zunächst nichts. Dann sagte sie: »Fahr du zu Kaufmann. Ich werde Frau Steiner interviewen. Wie ihre Verbindung zu der Verbindung so ist.«
Philipp Kaufmann wohnte in Bessungen. Auf der falschen Seite der Heidelberger, westlich. Sagte zumindest Kollege Taschke immer, der auf der östlichen Seite wohnte, die, auf der sich das alte Bessungen befand. Als es noch klein und ein eigenes Dorf war. Horndeich schüttelte immer wieder den Kopf über derartigen Minimal-Lokalpatriotismus innerhalb einer Stadt.
Er stellte seinen Wagen vor dem Haus im Kurzen Weg ab. Hinter der Adresse verbarg sich ein Mehrfamilienhaus.
Horndeich las das Klingelschild. Kaufmann bewohnte die Wohnung unterm Dach. Er klingelte.
Eine weibliche Stimme meldete sich: »Ja, bitte?«
»Hauptkommissar Horndeich. Kripo Darmstadt. Ich hätte ein paar Fragen an Sie«, sagte Horndeich.
»Oh Gott«, hörte er noch. Dann ertönte der Türsummer.
Er stieg in den vierten Stock nach oben. Die Wohnungstür war geöffnet. Im Türrahmen stand eine Frau, etwa vierzig, schätzte Horndeich. Blond, zierlich, sie trug Jeans, eine weiße Bluse, hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Auffallendste an ihr war die Hautfarbe: weiß. Nicht hautfarben mit all seinen tausend Varianten. Sondern fahlweiß. Zugleich registrierte Horndeich, dass sich die Frau am Türrahmen abstützte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Horndeich, anstatt seinen Begrüßungstext aufzusagen.
»Sie haben ihn gefunden? Ist er tot?«
»Wer?«
»Philipp. Mein Mann.«
»Äh – nein. Wieso? Vermissen Sie ihn?«
»Ja. Das habe ich Ihren Kollegen ja schon am Freitag gesagt.«
»Moment. Sie haben Ihren Mann als vermisst gemeldet?«
»Wollte ich, ja. Sie kommen also nicht, um mir zu sagen, dass er tot ist?«
»Nein.«
»Gott sei Dank!«, sagte die Frau leise. »Gott sei Dank. Kommen Sie herein.«
Horndeich folgte ihr durch den Flur ins
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