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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Fünfundfünfzig
    »Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht nach dem Signalton.«
    Es war sieben Uhr dreißig. Fred Dellray saß zu Hause in Brooklyn, starrte sein Telefon an und klappte es zu. Eine weitere Nachricht hinterließ er nicht; auf die ersten zwölf hatte William Brent sich schließlich auch nicht gemeldet.
    Ich bin am Arsch, dachte er.
    Womöglich war der Mann tot. McDaniel mochte sich bescheuert ausdrücken ( symbiotisches Konstrukt ?), aber seine Theorie traf vielleicht trotzdem zu. Es ergab Sinn, dass Ray Galt der Insider war, den Rahman, Johnston und ihre »Gerechtigkeit-für-die-Erde«-Gruppe dazu verleitet hatten, ihnen bei Angriffen auf die Algonquin und das Stromnetz behilflich zu sein. Falls Brent der Terrorzelle dabei zufällig in die Quere gekommen war, würden sie ihn sofort ausgeschaltet haben.
    Ach, dachte Dellray verärgert: eine blindwütige, schlichte Weltsicht – die leeren Kalorien des Terrorismus.
    Doch er war schon sehr lange in diesem Geschäft, und sein Gefühl sagte ihm, dass William Brent sich bester Gesundheit erfreute. New York City ist kleiner, als die Leute glauben, vor allem die Unterwelt des Big Apple. Dellray hatte zahlreiche weitere Kontakte aktiviert, sowohl andere Informanten als auch einige der verdeckten Ermittler, die er führte. Niemand hatte etwas von Brent gehört. Sogar Jimmy Jeep wusste nichts – und der hatte eindeutig ein Motiv, den Mann wieder aufzuspüren; immerhin sollte Dellray den bevorstehenden Umzug nach Georgia
befürworten. Es gab auch keine Gerüchte über den Auftrag zu einem Mord oder einer spurlosen Beseitigung. Und kein überraschter Müllmann hatte eine Tonne zu seinem Wagen gerollt und in dem stinkenden Sarkophag einen unbekannten Toten entdeckt.
    Nein, folgerte Dellray. Es gab nur eine schlüssige Erklärung, und er konnte sie nicht länger ignorieren: Brent hatte ihn verarscht.
    Dellray hatte durch die Homeland Security überprüfen lassen, ob der Spitzel – entweder als Brent oder unter einem anderen seiner vielen Tarnnamen – irgendwo einen Flug gebucht hatte. Das schien nicht der Fall zu sein, wenngleich jeder erfahrene Informant weiß, wo es erstklassige neue Papiere zu kaufen gibt.
    »Schatz?«
    Dellray zuckte zusammen und blickte auf. Serena stand im Eingang und hatte Preston auf dem Arm.
    »Warum so nachdenklich?«, fragte sie. Dellray war immer noch erstaunt, wie ähnlich sie Jada Pinkett Smith sah, der Schauspielerin und Produzentin. »Du hast schon gestern vor dem Schlafengehen gegrübelt und beim Aufwachen gleich damit weitergemacht. Ich schätze, im Schlaf hast du auch gegrübelt. «
    Er öffnete den Mund, um ihr irgendeine Geschichte aufzutischen. Dann aber sagte er: »Ich glaube, ich wurde gestern gefeuert. «
    »Was?« Sie war sichtlich schockiert. »McDaniel hat dich entlassen ?«
    »Nicht direkt – er hat mir gedankt.«
    »Aber…«
    »Nicht jedes Dankeschön ist auch so gemeint. Manchmal heißt es: Pack deine Sachen … Sagen wir einfach, ich werde herausgedrängt. Das Ergebnis ist dasselbe.«
    »Ich glaube, du deutest da zu viel hinein.«

    »Er vergisst immer wieder, mich über die neuen Entwicklungen des Falls zu unterrichten.«
    »Die Sache mit dem Stromnetz?«
    »Ja. Lincoln ruft mich an, Lon Sellitto ruft mich an. Tuckers Assistentin ruft mich an.«
    Dellray ging nicht näher auf den anderen Grund für seine Grübelei ein: die mögliche Anklage wegen der gestohlenen und verschwundenen 100 000 Dollar.
    Doch noch beunruhigender war die Tatsache, dass er wirklich geglaubt hatte, William Brent habe eine handfeste Spur, die ihnen ermöglichen könnte, diese schrecklichen Anschläge zu verhindern. Eine Spur, die zusammen mit Brent verschwunden war.
    Serena setzte sich neben ihn und gab ihm Preston, der begeistert Dellrays Daumen packte, sodass ihm etwas leichter ums Herz wurde. »Das tut mir leid, Liebling«, sagte sie.
    Er schaute zum Fenster hinaus auf das Häusergewirr. Im Hintergrund konnte er einen Zipfel der Brooklyn Bridge ausmachen. Ein Abschnitt aus Walt Whitmans Gedicht »Auf der Brooklyn-Fähre« 1 kam ihm in den Sinn.
    Das Beste, was ich getan, erschien mir fragwürdig und leer;
Meine vermeintlichen großen Gedanken,
waren sie nicht in Wahrheit dürftig?
    Diese Worte trafen auch auf ihn zu. Nach außen hin war Fred Dellray hip, kämpferisch, hart, ein Mann der Straße. Der sich gelegentlich, nein regelmäßig fragte: Was ist, wenn ich falschliege?
    Die nächsten Zeilen von Whitmans Gedicht waren jedoch der

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