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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Rhyme endete – gelähmt? War das Police Department gegen solche Fälle versichert? Seine eigene Haftpflichtversicherung würde für so etwas wie eine lebenslange Pflege nämlich mit Sicherheit nicht bezahlen. Konnte das Opfer ihn vor Gericht bringen und ihm alles wegnehmen? Mussten Pulaski und Jenny den Rest ihres Lebens für den Schadenersatz arbeiten? Die Kinder könnten vielleicht nie aufs College gehen; das kleine Sparkonto, das sie zu diesem Zweck eingerichtet hatten, würde sich in Luft auflösen.
    »Ich möchte zu Stanley Palmer«, sagte er zu der Frau hinter dem Schalter. »Ein Autounfall von gestern.«
    »Natürlich, Officer. Er liegt in vier null zwei.«
    In seiner Uniform konnte Pulaski mühelos alle Türen passieren. Schließlich fand er das Zimmer. Er blieb auf dem Korridor stehen, um all seinen Mut zusammenzunehmen. Und wenn nun Palmers ganze Familie dort saß? Frau und Kinder? Er suchte verzweifelt nach etwas, das er sagen konnte.

    Doch alles, was er hörte, war ein dumpfer Aufprall. Und dann ein Knacken.
    Ron Pulaski atmete tief durch und betrat das Zimmer. Palmer war allein. Er lag bewusstlos da und war an alle möglichen einschüchternden Kabel und Schläuche angeschlossen. Das elektronische Zeug sah so kompliziert aus wie die Geräte in Lincoln Rhymes Labor.
    Rhyme …
    Wie sehr Ron seinen Chef enttäuscht hatte! Den Mann, dank dessen Beispiel er Polizist geblieben war, weil Rhyme nach seinem eigenen Unfall ebenfalls nicht aufgegeben hatte. Und den Mann, der ihm mehr und mehr Verantwortung übertrug. Lincoln Rhyme glaubte an ihn.
    Und nun sieh, was ich angerichtet habe.
    Pulaski starrte Palmer an, der völlig reglos dalag – sogar noch regloser als Rhyme, denn bei diesem Patienten rührte sich gar nichts außer seiner Lunge. Nicht mal die Linien auf dem Monitor schlugen aus. Auf dem Gang kam eine Krankenschwester vorbei. Pulaski rief sie herein. »Wie geht es ihm?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie mit einem starken Akzent, den er nicht zuordnen konnte. »Da müssen Sie schon mit dem Arzt reden.«
    Nachdem er Palmers bewegungslosen Leib noch eine Weile angestarrt hatte, hörte Pulaski ein Geräusch. Er blickte auf und sah einen Mann mittleren Alters im Eingang stehen. Der Mediziner, dessen ethnische Herkunft Pulaski nicht hätte bestimmen können, trug blaue OP-Kleidung, und vor seinem Namen war ein Dr. eingestickt. Wiederum wegen Pulaskis Uniform gab der Mann ihm nun einige Informationen, die ein Fremder sonst nur schwerlich erhalten hätte. Palmer war wegen schwerer innerer Verletzungen operiert worden und lag derzeit im Koma. Eine Prognose war noch nicht möglich.
    Wie es schien, hatte der Verletzte keine Angehörigen in der
Gegend und war alleinstehend. Es gab jedoch einen Bruder und Eltern in Oregon; sie waren bereits informiert worden.
    »Ein Bruder«, flüsterte Pulaski und musste an seinen Zwillingsbruder denken.
    »Ja.« Dann ließ der Arzt das Krankenblatt sinken und musterte den Cop. »Sie sind nicht wegen seiner Aussage hier«, stellte er mit wissendem Blick fest. »Ihr Besuch hat nichts mit den Ermittlungen zu tun, nicht wahr?«
    »Was?« Pulaski konnte ihn nur erschrocken ansehen.
    Doch der Arzt lächelte freundlich. »So was passiert nun mal. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.«
    »Es passiert?«
    »Ich arbeite hier schon seit Langem in der Notaufnahme. Die altgedienten Cops kommen nie persönlich vorbei, um nach den Opfern zu sehen, nur die jungen Beamten.«
    »Nein, wirklich. Ich bin hier, weil ich seine Aussage aufnehmen wollte.«
    »Sicher … aber Sie hätten vorher anrufen und sich erkundigen können, ob er überhaupt ansprechbar ist. Tun Sie nicht so abgebrüht, Officer. Sie haben ein gutes Herz.«
    Welches ihm nun nur umso schneller schlug.
    Der Blick des Arztes schweifte zu Palmer. »War das ein Fall von Fahrerflucht?«
    »Nein. Wir wissen, wer der Fahrer war.«
    »Gut. Nageln Sie das Arschloch fest. Ich hoffe, die Geschworenen verdonnern ihn zur Höchststrafe.« Dann verließ der Mann in seiner fleckigen Kleidung den Raum.
    Pulaski ging zum Schwesternzimmer und ließ sich – wieder dank seiner Uniform – Palmers Anschrift und Sozialversicherungsnummer geben. Er wollte so viel wie möglich über den Mann in Erfahrung bringen, über seine Familie oder etwaige von ihm abhängige Personen. Palmer mochte nicht verheiratet sein, aber er war alt genug für halbwüchsige Kinder. Ron würde
sie anrufen und herausfinden, ob er ihnen irgendwie behilflich sein

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