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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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und schief, denn die rechten Reifen waren platt. Die Lackierung im vorderen Teil trug Brandspuren. Die Hälfte der Fenster war grau und undurchsichtig.
    Eine Sanitäterin kam auf Amelia zu. »Hallo«, sagte Sachs.
    Die untersetzte Afroamerikanerin nickte zögerlich. In ihrem Beruf konnte ihr eigentlich kein grausiger Anblick mehr fremd sein, aber sie wirkte dennoch sichtlich erschüttert. »Detective, das sollten Sie sich mal ansehen.«
    Sachs folgte ihr zu dem Krankenwagen, wo auf einer Trage ein Toter lag, der ins Leichenschauhaus gebracht werden würde. Sein Körper war mit einer dunkelgrünen gewachsten Plane bedeckt worden.
    »Das war offenbar der letzte Fahrgast, der einsteigen wollte. Wir dachten, wir könnten ihn retten. Aber… wir haben es nur bis hierhin geschafft.«
    »Tod durch Stromschlag?«

    »Sehen Sie lieber selbst«, flüsterte sie und hob die Plane an.
    Sachs erstarrte, als ihr der Geruch nach verbrannter Haut und versengten Haaren in die Nase stieg. Das Opfer war ein Latino in einem Anzug – oder dem Rest davon. Sein Rücken und der überwiegende Teil seiner rechten Seite waren zu einer Mischung aus Haut und Stoff verschmolzen. Brandwunden zweiten und dritten Grades, schätzte Sachs. Aber nicht das war es, was ihr so zusetzte; sie hatte im Laufe ihres Berufslebens schon eine Menge unbeabsichtigter und vorsätzlicher schlimmer Verbrennungen gesehen. Den entsetzlichsten Anblick bot sein Fleisch, das freigelegt worden war, als die Sanitäter den Anzug aufgeschnitten hatten. Der Körper des Toten war von Dutzenden glatter Punkturverletzungen überzogen. Es war, als hätte man mit einer riesigen Schrotflinte auf ihn geschossen.
    »Die meisten gehen glatt durch«, sagte die Sanitäterin.
    Der Körper war durchlöchert?
    »Wie kann das passiert sein?«
    »Keine Ahnung. Ich hab so was in all den Jahren noch nie gesehen. «
    Und Sachs wurde noch etwas klar. Die Wunden waren alle ganz deutlich zu erkennen. »Da ist kein Blut.«
    »Was auch immer das war, es hat die Verletzungen kauterisiert. Deshalb…« Sie senkte die Stimme. »Deshalb ist er noch so lange bei Bewusstsein geblieben.«
    Die Schmerzen mussten unvorstellbar gewesen sein.
    »Wie ist das bloß möglich?«, grübelte Sachs.
    Und dann bekam sie die Antwort.
    »Amelia«, rief Ron Pulaski.
    Sie schaute zu ihm.
    »Das Haltestellenschild. Sehen Sie nur. O Mann …«
    »Um Gottes willen«, murmelte sie. Und näherte sich dem Rand des abgesperrten Bereichs. Etwa einen Meter achtzig über dem Boden war ein ungefähr zwölf Zentimeter messendes Loch
durch den dicken Pfosten gesprengt worden. Das Metall war wie Plastik unter einer Lötlampe geschmolzen. Sachs sah sich die Busfenster und einen in der Nähe geparkten Lieferwagen genauer an. Sie hatte gedacht, das Glas sei durch das Feuer blind geworden. Aber nein, die Scheiben – auch die Bleche – waren von kleinen Splittern getroffen worden, den gleichen Splittern, die den Fahrgast getötet hatten.
    »Sehen Sie«, flüsterte sie und wies auf den Gehweg und die Fassade des Umspannwerks. Zahllose winzige Krater hatten sich in den Stein gegraben.
    »War das eine Bombe?«, fragte Pulaski. »Vielleicht ist sie den Kollegen entgangen.«
    Sachs öffnete eine Plastiktüte und entnahm ihr blaue Latexhandschuhe. Sie streifte sie über, bückte sich und hob eine kleine tränenförmige Metallscheibe auf, die am Fuß des Haltestellenschilds lag. Das Metall war noch immer so heiß, dass der Handschuh weich wurde.
    Als Amelia begriff, worum es sich handelte, erschauderte sie.
    »Was ist das?«, fragte Pulaski.
    »Der Lichtbogen hat den Pfosten geschmolzen.« Sie sah genauer hin und entdeckte hundert oder mehr dieser Tropfen, die am Boden lagen oder in der Flanke des Busses, in Hauswänden und geparkten Wagen steckten.
    Das hatte den jungen Fahrgast getötet. Ein Schauer aus geschmolzenen Metalltropfen, die mit mehr als dreihundert Metern pro Sekunde durch die Luft geschossen waren.
    Der junge Streifenbeamte atmete langsam aus. »Von so etwas getroffen zu werden … und dann brennt das Zeug sich glatt durch einen hindurch.«
    Sachs erschauderte abermals – bei dem Gedanken an die Schmerzen. Und bei der Vorstellung, welch verheerende Auswirkungen der Anschlag gehabt haben könnte. Dieser Teil der Straße war relativ leer. Hätte das Umspannwerk näher am Zentrum
von Manhattan gestanden, wären wahrscheinlich zehn oder fünfzehn Passanten oder noch mehr ums Leben gekommen.
    Sachs blickte auf und sah plötzlich die

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