Opferlämmer
hören würde, gefolgt von einem sehr, sehr kurzen Knall, wenn der Lichtbogen ihn tötete.
Es schien ewig zu dauern, das Miststück wieder aufzubekommen.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sir?«
Ja, halt’s Maul.
»Äh, bleiben Sie einfach nur auf Abstand, und geben Sie mir eine Minute, Officer.«
»Sicher.«
Endlich löste das Kabel sich von der Hauptleitung, und Sommers ließ es zu Boden fallen. Dann schob er sich aus der Schlauchschlinge nach unten, hing kurz mit ausgestreckten Armen da und ließ los. Der Aufprall tat weh, und Sommers stürzte, aber anscheinend hatte er sich nichts gebrochen.
»Was haben Sie gesagt, Sir?«, fragte Pulaski.
Er hatte sich leise etwas geschworen: Das nächste Mal rührst du dich nicht vom Fleck .
Doch er antwortete: »Nichts.« Dann klopfte er sich den Staub von der Hose und sah sich um. »Ach, Officer?«
»Ja, Sir?«
»Sind Sie auf dem Weg nach hier unten zufällig an einer Toilette vorbeigekommen?«
… Achtzig
»Charlie Sommers geht es gut«, rief Sachs und steckte das Mobiltelefon ein. »Das war Ron.«
Rhyme runzelte die Stirn. »Wieso sollte es ihm nicht gut gehen?«
»Wie es scheint, wollte er den Helden spielen. Er hatte vor, den Strom im Kongresszentrum abzuschalten. Ron hat ihn im Keller gefunden, wo er mit einem Kabel und ein paar Werkzeugen von der Decke hing.«
»Und was hat er gemacht?«
»Keine Ahnung.«
»Welchen Teil von ›nicht vom Fleck rühren‹ hat er nicht verstanden?«
Sachs zuckte die Achseln.
»Hättet ihr ihn nicht einfach anrufen können?«
»Er hatte sein Telefon nicht mitgenommen. Wegen irgendwas mit hunderttausend Volt.«
Andi Jessens Bruder ging es ebenfalls gut. Er war allerdings schmutzig, hungrig und wütend. Man hatte ihn im Laderaum von Logans weißem Lieferwagen gefunden, der in der Gasse hinter Rhymes Haus geparkt stand. Logan hatte kaum ein Wort mit ihm geredet und ihn im Dunkeln gelassen – buchstäblich. Randall Jessen war davon ausgegangen, man habe ihn entführt, um Geld von seiner wohlhabenden Schwester zu erpressen. Von den Anschlägen wusste er nichts, und Logan hatte offenbar geplant, ihn in Rhymes Keller durch einen Stromschlag zu töten.
Es sollte so aussehen, als hätte er nach Rhymes Ermordung den Schalter wieder entfernen wollen und dabei versehentlich eine heiße Leitung berührt. Mittlerweile war seine Schwester bei ihm, und Gary Noble hatte sie auf den neuesten Stand der Dinge gebracht.
Rhyme fragte sich, ob Andi Jessen wohl irgendwie darauf reagieren würde, dass die Drahtzieher der Verschwörung aus dem Lager der bei ihr ohnehin unbeliebten alternativen Energien kamen.
»Und Bob Cavanaugh?«, fragte er. »Der Geschäftsführer?«
»McDaniels Leute haben ihn verhaftet. Er war in seinem Büro und hat keinen Widerstand geleistet. Bei ihm wurden haufenweise Unterlagen gefunden – über Firmen auf dem Sektor der erneuerbaren Energien, mit denen die Verschwörer nach der Übernahme der Algonquin Geschäfte tätigen wollten. Das FBI wird die Namen der Komplizen in seinem Computer finden oder anhand der Verbindungsnachweise seines Telefons herausbekommen – sofern er nicht kooperiert.«
Ein grünes Kartell …
Rhyme registrierte, dass Richard Logan, der mit Hand- und Fußfesseln zwischen zwei uniformierten Beamten saß, etwas zu ihm sagte. Er sah ihn an.
»Eine Falle?«, wiederholte der Killer mit kühler, beklemmend analytischer Stimme. »Es war alles nur vorgetäuscht? Sie haben es von Anfang an gewusst?«
»Ja.« Rhyme musterte ihn eindringlich. Obwohl der Mann den Namen Richard Logan bestätigt hatte, würde er für Rhyme immer der Uhrmacher bleiben. Das Gesicht sah nach der plastischen Operation anders aus, ja, aber die Augen waren nach wie vor die des Mannes, der sich als ebenso schlau wie Rhyme erwiesen hatte. Gelegentlich sogar als schlauer. Und der sich nicht mit so trivialen Dingen wie Gesetzen oder einem Gewissen aufhielt.
Die Fesseln waren massiv und saßen fest, aber Lon Sellitto
blieb dennoch vorsichtshalber in der Nähe und behielt den Mann im Auge, als würde er befürchten, Logan plane mit seinem beachtlichen Verstand bereits die Flucht.
Rhyme war anderer Ansicht. Der Gefangene hatte mit flinkem Blick den Raum und die anwesenden Beamten überprüft und war zu dem Schluss gelangt, dass Widerstand vorläufig keinen Sinn hatte.
»Also«, sagte Logan ruhig. »Wie haben Sie das angestellt?« Es schien ihn wirklich zu interessieren.
Sachs und Cooper verzeichneten und verpackten die
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