Opferlämmer
demnach eine echte Glückssträhne erwischt, zumindest finanziell betrachtet, denn er erhielt sowohl das steuerfreie Schmerzensgeld als auch die Hunderttausend, die Dellray ihm gezahlt hatte – ebenfalls steuerfrei, weil das Finanzamt nie davon erfahren würde.
Dellray war in seinem Büro und kostete die erfreuliche Nachricht aus, dass Richard Logan, der Uhrmacher, in Haft saß, als seine Assistentin, eine intelligente Afroamerikanerin Mitte zwanzig, hereinkam. »Haben Sie schon von dieser Earth-Day-Sache gehört?«
»Nein, was ist los?«
»Ich weiß keine Einzelheiten, aber diese Gruppe, Gefdeh …«
»Was?«
»GFDE. Gerechtigkeit für die Erde. Was auch immer das ist. Die Ökoterrorgruppe.«
Dellray stellte seinen Kaffee auf den Tisch. Sein Herz schlug schneller. »Die ist echt?«
»Ja.«
»Was ist passiert?«, drängte er.
»Ich habe nur gehört, dass sie im Central Park bis zu den beiden Senatoren vorgedrungen sind, die der Präsident als Redner zu der Kundgebung geschickt hat. Der SAC möchte Sie in seinem Büro sehen. Gleich.«
»Gab es Verletzte oder Tote?«, flüsterte Dellray entsetzt.
»Keine Ahnung.«
Der schlaksige Agent stand mit grimmiger Miene auf und eilte mit großen Schritten den Flur hinunter.
Seine Karriere ging wohl in diesen Minuten zu Ende. Er hatte einen wichtigen Anhaltspunkt für die Ergreifung des Uhrmachers liefern können. Doch bei seiner eigentlichen Aufgabe hatte er versagt: der Aufspürung der Terrorgruppe.
Und das würde McDaniel benutzen, um ihn fertigzumachen … auf seine eifrige und doch besonnene, energische und doch feinsinnige Art. Anscheinend war es bereits geschehen, denn wieso sonst wollte der SAC mit ihm sprechen?
Nun, bleiben Sie am Ball, Fred. Sie leisten gute Arbeit …
Im Vorbeigehen schaute Dellray in die Büros beidseits des Korridors, weil er jemanden nach Einzelheiten des Zwischenfalls fragen wollte. Doch die Zimmer waren leer. Es war schon spät, und außerdem dürften alle nach der Sichtung von »Gerechtigkeit für die Erde« sofort zum Central Park aufgebrochen sein. Das war vielleicht das deutlichste Anzeichen für Dellrays Abstieg : Man hatte ihm nicht mal mehr Bescheid gegeben.
Natürlich war noch ein weiterer Grund dafür denkbar – und für die Ladung ins Büro des SAC: die gestohlenen hunderttausend Dollar.
Was, zum Teufel, hatte er sich nur dabei gedacht? Er hatte es für die Stadt getan, die er liebte und deren Bürger er zu schützen geschworen hatte. Aber hatte er wirklich geglaubt, er würde damit durchkommen? Vor allem bei einem ASAC, der ihn loswerden wollte und der über dem Papierkram seiner Untergebenen brütete wie ein Kreuzworträtselsüchtiger?
Ob es ihm wohl gelingen würde, eine Haftstrafe zu vermeiden ?
Er war sich nicht sicher. Nach dem Mist, den er bei »Gerechtigkeit für die Erde« gebaut hatte, waren seine Aktien in den Keller gesunken.
Er ließ einen der Flure des langweiligen Bürogebäudes hinter sich und bog auf einen anderen ein.
Schließlich erreichte er das Dienstzimmer des Special Agent in Charge. Die Sekretärin kündigte ihn an und schickte ihn weiter in das große Eckbüro.
»Fred.«
»Jon.«
Der SAC, Jonathan Phelps, Mitte fünfzig, strich sich über das graue, nach hinten gekämmte Haar und bedeutete Dellray, er möge auf einem Sessel vor dem unordentlichen Schreibtisch Platz nehmen.
Nein, unordentlich war das falsche Wort, fand Dellray. Die Akten waren ordentlich und sortiert; allerdings nahmen sie eine knapp zehn Zentimeter hohe Schicht auf fast der gesamten Tischplatte ein. Dies war immerhin New York. Hier konnte viel schiefgehen, das dann von Leuten wie dem SAC wieder in Ordnung gebracht werden musste.
Dellray versuchte, aus dem Mann schlau zu werden, aber der ließ sich nichts anmerken. Auch Phelps hatte früher mal als verdeckter Ermittler gearbeitet. Doch diese kleine Gemeinsamkeit würde Dellray keine zusätzlichen Sympathien einbringen. Auf eines war beim FBI stets Verlass: Die Bundesgesetze und zugehörigen
Vorschriften standen an erster Stelle. Außer ihnen beiden war niemand im Raum. Das überraschte Dellray nicht. Tucker McDaniel würde den Terroristen im Central Park gerade ihre Rechte vorlesen.
»Also, Fred, dann komme ich mal gleich zur Sache.«
»Natürlich.«
»Wegen dieser Gefdeh-Geschichte.«
»Gerechtigkeit für die Erde.«
»Genau.« Er fuhr sich mit den Fingern erneut durch das dichte Haar. Es sah hinterher ebenso adrett aus wie vorher.
»Nur damit ich das richtig
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