Opferlämmer
verstehe. Sie haben nichts über diese Gruppe herausgefunden, korrekt?«
Dellray hatte noch nie um den heißen Brei herumgeredet. »Nein, Jon. Ich hab’s versaut. Ich habe alle meine üblichen Quellen angezapft und ein halbes Dutzend neue dazu. Alle meine aktuellen Kontakte und ein Dutzend frühere. Sogar zwei Dutzend. Ohne jeden Erfolg. Tut mir leid.«
»Und doch hatten Tucker McDaniels Überwachungsteams zehn klare Treffer.«
Das digitale Umfeld …
Dellray würde nicht schlecht über McDaniel reden, nicht mal ansatzweise. »Ja, soweit ich weiß. Seine Leute haben eine Menge nützliche Details herausgefunden. Die Namen der Beteiligten – dieser Rahman, Johnston. Und Codeworte, die sich auf Waffen beziehen.« Er seufzte. »Ich habe gehört, es hat einen Zwischenfall gegeben, Jon. Was ist passiert?«
»Oh, ja. Gefdeh hat zugeschlagen.«
»Gibt es Tote?«
»Wir haben ein Video. Wollen Sie es sehen?«
Nein, Sir, ganz sicher nicht, dachte Dellray. Das Letzte, was ich sehen will, sind Menschen, die zu Schaden kommen, weil ich Mist gebaut habe. Oder Tucker McDaniel, der mit einem Zugriffteam den Tag rettet. Aber er sagte: »Sicher, zeigen Sie her.«
Der SAC beugte sich über seinen Laptop und drückte ein paar Tasten. Dann drehte er das Gerät zu Dellray um. Der rechnete damit, eines der typischen Überwachungsvideos zu Gesicht zu bekommen, aufgenommen mit einem Weitwinkelobjektiv und niedrigem Kontrast, um keine Einzelheiten zu verlieren, mit eingeblendetem Ort und sekundengenauem Zeitstempel am unteren Rand.
Stattdessen sah er einen Nachrichtenbeitrag von CNN vor sich.
CNN?
Eine lächelnde Frau mit Betonfrisur und einem Stapel Notizen in der Hand sprach mit einem Mann Mitte dreißig, dessen Jackett und Hose nicht zusammenpassten. Er hatte dunkle Haut, kurzes Haar und lächelte nervös, während sein Blick zwischen der Reporterin und der Kamera hin- und herwechselte. Neben ihm stand ein kleiner rothaariger Junge mit Sommersprossen, ungefähr acht Jahre alt.
»Ich habe gehört, dass Ihre Schüler sich schon seit Monaten auf den Earth Day vorbereiten«, sagte die Reporterin zu dem Mann.
»Das stimmt«, erwiderte er verlegen, aber stolz.
»Heute Abend sind viele verschiedene Gruppen in den Central Park gekommen, die sich für die unterschiedlichsten Ziele einsetzen. Haben Ihre Schüler sich ein bestimmtes Umweltthema herausgesucht?«
»Eigentlich nicht. Sie interessieren sich für zahlreiche Fragen: erneuerbare Energien, Gefahren für den Regenwald, globale Erwärmung und Kohlendioxid, Schutz der Ozonschicht, Recycling. «
»Und wer ist Ihr junger Assistent hier?«
»Das ist einer meiner Schüler, Tony Johnston.«
Johnston?
»Hallo, Tony. Kannst du unseren Zuschauern zu Hause das Motto eurer Umweltgruppe verraten?«
»Äh, ja. Auch Kinder wollen mehr grüne Gerechtigkeit für die Erde.«
»Und das sind ja tolle Plakate. Haben du und deine Klassenkameraden die ganz allein gemalt?«
»Äh, ja. Aber unser Lehrer, Mr. Rahman« – er schaute zu dem Mann neben ihm empor – »hat uns dabei geholfen.«
»Wie schön, Tony. Vielen Dank dir und deinen Mitschülern aus Peter Rahmans dritter Klasse an der Ralph Waldo Emerson Grundschule in Queens, die glauben, dass man gar nicht jung genug sein kann, um etwas zum Schutz der Umwelt zu bewirken … Das war Kathy Brigham live aus dem …«
Der SAC betätigte eine Taste, und der Bildschirm wurde schwarz. Phelps lehnte sich zurück. Dellray vermochte nicht zu sagen, ob der Mann lachen oder fluchen würde.
»Können Sie sich vorstellen, wie tief wir in der Scheiße stecken, Fred?«, fragte der SAC.
Dellray hob eine Augenbraue.
»Wir haben Washington um weitere fünf Millionen Dollar gebeten, noch zusätzlich zu den Kosten für die Mobilisierung von vierhundert Agenten. In New York, Westchester, Philadelphia, Baltimore und Boston wurden im Eilverfahren zwei Dutzend Haftbefehle erlassen. Dank SIGINT waren wir hundertprozentig sicher, dass eine Ökoterrorgruppe, schlimmer als Timothy McVeigh, schlimmer als Bin Laden, den größten Anschlag aller Zeiten plant, um Amerika in die Knie zu zwingen. Wie sich herausgestellt hat, sind unsere Terroristen acht und neun Jahre alt. Und die Schlüsselbegriffe für Waffen, ›Papier‹ und ›Bedarf‹? Die meinten genau das: einen Bedarf an Papier, wahrscheinlich für die Plakate. Die Kommunikation der Gruppe fand nicht etwa im digitalen Umfeld statt, sondern von Angesicht zu Angesicht, nachdem die Kinder in der Schule aus
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