Opferspiel: Thriller (German Edition)
nicht vorhandenem Einkommen zu schließen war sie eine drittklassige Hure gewesen.
Jo drehte sich um und taxierte etwas in der hinteren Ecke; sie sprach laut mit sich selbst, während sie versuchte, den Anblick zu verarbeiten. »Körperteil in der Ecke … ist … eine Hand … Es ist … Ritas Hand.«
Sie schluckte und schrieb es auf und hielt außerdem fest, wo sich überall Blutflecken befanden, auch deren Größe und Beschaffenheit. Dazu weitere Einzelheiten über den Tatort, wie sie ihn vorgefunden hatte und dass das Licht ausgeschaltet und die Tür aufgebrochen worden war.
Danach wandte sie sich wieder Rita und ihrem verstümmelten Arm zu. Ihre Hand verharrte zögernd über den Haaren mit der Konsistenz von Zuckerwatte. Sie zog einen Handschuh aus und streichelte über Ritas Gesicht. »Armes Herz«, flüsterte sie, »womit hast du das verdient?«
Dann zog sie den Handschuh wieder an, schob die Versicherungskarte zurück ins Portemonnaie und legte es dorthin, wo sie es gefunden hatte. Die beiden Fünfziger steckte sie in ihre Jackentasche.
»Die Jungs sind unterwegs«, sagte Foxy tonlos von der Tür her.
3
Am frühen Abend bog Jo in die Einfahrt ihres Hauses ein, eines Granit-Cottages mit einem Zu-verkaufen-Schild davor, das in Barnacullia stand, auf dem Three Rock Mountain, zehn Kilometer südlich von Dublins Zentrum. Sie hielt ihren einjährigen Sohn Harry im Arm und setzte die freie Hand unter Zuhilfenahme von Ellbogen und Fuß ein, um den Kofferraum ihres zwanzig Jahre alten Ford Escort aufzuklappen und die Marks & Spencer-Tüte mit den Lebensmitteleinkäufen herauszuholen.
Der leicht abschüssige Vorgarten war nur handtuchgroß, sah aber dauerhaft vernachlässigt aus, seit Dan ausgezogen war. So gern sie im Garten arbeitete, war es ihr im Moment doch wichtiger, potenzielle Käufer so lange wie möglich abzuschrecken. Selbst bei der herrschenden Rezession hätte sie sich das Haus jetzt nicht mehr leisten können, da das Ortszentrum von Dundrum und die Ringstraße um Dublin so nahe herangerückt waren. Damals, als sie es gekauft hatten, lag es noch mitten in der Pampa und war obendrein stark renovierungsbedürftig. Tja, die Zeiten haben sich geändert, dachte Jo, während sie mit ihren Einkäufen kämpfte. An den Wochenenden strömten nun die hippen jungen Aufsteiger mit ihren hochgeschobenen Designersonnenbrillen in ihren Cabrios herbei und belagerten die Picknickbänke vor Lamb Doyles oder dem Blue Light Pub, um Cider zu trinken und die Aussicht von diesem Hügel über der Smogschicht zu genießen. Jo war ziemlich geschickt darin geworden, sich den Anrufen des Immobilienmaklers zu entziehen.
Sie hatte stechende Kopfschmerzen und kein Glück damit, die Tüte von dem Buggy im Kofferraum zu befreien, ohne Harry durchzurütteln, während sie das Handy zwischen die Zähne geklemmt hielt. Ihre beiden Söhne lagen altersmäßig sechzehn Jahre auseinander, und an Tagen wie diesem erschien ihr der alte Traum, alles haben zu können, eher wie eine glatte Lüge als wie ein Mythos. Nach einigem Zerren krachte die Tüte mit dem Abendessen auf den Asphalt und riss den Buggy samt einem flatternden Stapel Papierkram mit sich, sodass sie sich auch noch den Finger an dem Metallgestell einklemmte. Sie saugte daran und schüttelte mit schmerzhafter Grimasse ihre Hand, trat dabei auf die Unterlagen und beugte sich ungelenk zur Seite, um alles wieder aufzusammeln.
Nachdem sie es mit ihrem Balanceakt durch die Haustür geschafft hatte, ließ sie Taschen und Tüten einfach fallen und trug Harry, der, oh Wunder, immer noch schlief, zu seinem Bettchen in ihrem Schlafzimmer. Sie deckte ihn gut zu und schaltete das Babyfon an.
Dann ging sie wieder hinunter und bog schwungvoll ins Wohnzimmer ein, wo sie sich von hinten über die Sofalehne beugte und sich eine Bierflasche und die Fernbedienung von der Armlehne schnappte.
»Hey«, protestierte Rory und kam mühsam auf die Beine. Ihr Ältester kniff die Augen zusammen, als sie das Licht anmachte.
»Das nächste Mal sage ich es deinem Vater.« Sie drückte auf die Stummtaste und brachte den schwafelnden Gangsta Rap zum Schweigen.
»Ja, klar, als würde er überhaupt rangehen, wenn du anrufst«, höhnte Rory.
Sie erstarrte mit dem Rücken zu ihm und zählte in Gedanken bis zehn. »Willst du jetzt zu Abend essen? Möchte Becky mitessen? Und weiß ihre Mutter, dass sie hier ist?«, sagte sie beherrscht, während sie in die Küche ging, wo ihr als Erstes das schmutzige Geschirr
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