Opferspiel: Thriller (German Edition)
und sie zusammengehörten. Ihre Schnitte und Prellungen heilten, Angie Freeman würde einen Entzug ma chen, Katie kam endlich vorsichtig aus ihrem Kokon he-raus, und Walter Kaiser war kalt wie das Grab, in das er gehörte. Das schien ihr Tag zu sein.
Doch es war nicht Dan, der da vor der Tür stand. Es war Jeanie, mit roten Augen.
Resigniert wollte Jo sie hereinlassen.
»Ich weiß, wie Sie das anstellen, Sie gemeines Miststück«, sagte Jeanie wütend.
»Entschuldigung, das hier ist mein Zuhause, und wenn Sie mich beleidigen wollen, muss ich Sie bitten zu gehen.«
Jeanie stellte einen Fuß in die Tür. »Hat er Ihnen gesagt, dass ich schwanger bin?«
Jo rang nach Luft, als der Schlag sie mit voller Wucht traf. Im Hintergrund gab Harry ein glucksendes Lachen von sich.
»Ich bin eigentlich gekommen, um Ihnen zu sagen, dass es mir leidtut, was ich Ihnen angetan habe. Jetzt weiß ich, wie das ist, was?«
Jo sah Jeanie nach, die im strömenden Regen davonging, und drehte sich dann zu Harry um, der sie vom Laufstall her immer noch engelhaft anlächelte.
Sie zog den einen Schuh aus und ließ ihn fallen, ließ dann auch den anderen in ihrer Hand fallen, schloss die Tür und legte den Riegel vor. Auf Strümpfen tappte sie durch die Diele und zog die Stecker ihrer baumelnden Modeschmuckohrringe heraus. Als sie sie gerade auf dem Dielentisch ablegte, klingelte das Telefon. Sie achtete nicht auf die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen, und nahm ab.
»Ich weiß, es ist Samstagabend, und Sie haben wahrscheinlich ein heißes Date«, sagte Gerry vom Justizministerium, »deshalb komme ich gleich zur Sache, ja? Ihrem Ersuchen um ein Nebenklagerecht für Vergewaltigungsopfer ist stattgegeben worden. Es ist in Planung.« Er hielt inne. »Weinen Sie etwa, Birmingham?«
»Natürlich nicht!« Jo wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Ich habe doch jetzt alles, was ich wollte, oder?«
Eine Anmerkung zum Nebenklagerecht in Irland
Verbrechensopfer kommen vor Gericht zu kurz. Wenn sie das Glück hatten, ihr Martyrium zu überleben, ist ihre Rolle vor Gericht die eines Zeugen, das heißt, sie bezeugen eine Straftat gegen den Staat. Sind sie jedoch gestorben, wird ihr Andenken häufig im Laufe des Prozesses in den Schmutz gezogen, was geradezu erforderlich ist, wenn die Verteidigung eine Provokation der Tat nachweisen will. Ihre Angehörigen sitzen oftmals auf den hinteren Bänken im Gerichtssaal und weinen. Sie haben den tragischen Verlust eines geliebten Menschen durch eine Gewalttat erlitten und müssen sich nun beim Beweisverfahren sehr schmerzliche Dinge wie zum Beispiel die Autopsieergeb nisse anhören. Die Information, wie viel Gehirn, Herz und Leber der Verstorbenen wogen, gehört standardmäßig dazu, ebenso die Beschreibung, wie die Kopfhaut von einem Ohr zum anderen eingeschnitten und dann umgestülpt wurde, um den Schädel zu öffnen und das Gewebe darunter auf Einblutungen bei Kopfverletzungen untersuchen zu können.
Das wird den Beobachtern regelmäßig zu viel, doch ein Familienmitglied, das vor Kummer und Entsetzen aufschreit oder in irgendeiner Form protestiert, kann wegen Missachtung des Gerichts in eine Verwahrzelle abgeführt und dort festgehalten werden, bis es sich für sein ungebührliches Verhalten entschuldigt. Dabei wollen die Angehörigen im Allgemeinen lediglich vorbringen, dass der Mensch, den sie kannten, und der, den die Verteidigung des Angeklagten dem Gericht schildert, nichts miteinander gemeinsam haben. Manche Opfer oder Angehörige geben vor der Urteilsverkündung eine Erklärung über die Auswirkungen der Tat auf ihr Leben ab. Doch da der Strafprozess an diesem Punkt bereits abgeschlossen ist, ist das nur ein schwacher Trost.
Aktivistinnen von Vergewaltigungsnotrufen und Beratungsstellen treten dafür ein, die Rechte der Opfer vor Gericht zu stärken, indem man ihnen ein Nebenklagerecht zugesteht und dadurch verhindert, dass die Opfer zu Angeklagten werden. Die zuständigen Stellen haben bislang jedoch in einer Weise auf die Kampagne reagiert, als würde sie das gesamte Rechtssystem untergraben.
Wie Jo Birmingham bin ich der Meinung, dass die Waage der Justitia sich zu sehr zugunsten der Angeklagten neigt und wieder mit der Waagschale der Opfer ins Gleichgewicht gebracht werden muss. Dieser Roman soll ein erster Aufruf dazu sein.
Niamh O’Connor
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