Opfertod
wenigstens das Baby!« Belling wollte nicht aufgeben.
»Ich will fünfzigtausend Euro cash. Bringen Sie das Geld in einer Plastiktüte zum alten Schlachthof in Lichterfelde und legen Sie es bei den ehemaligen Stallungen ab. Bei den Futtertrögen werden Sie dann einen Umschlag mit der Adresse vorfinden, wo sich Ihre kleine Freundin mit dem Baby befindet.«
Belling sah zu Lena, während er das Handy so fest umklammerte, dass seine Knöchel weißlich hervortraten.
»In drei Stunden«, befahl die Stimme. »Kommen Sie allein. Sollten Sie sich nicht daran halten, sind die Frau und das Kind tot.«
Ein Klicken. Der Anrufer hatte aufgelegt.
Belling ließ die Hand mit dem Telefon sinken und starrte Lena eine Sekunde lang mit aufgerissenen Augen an. Beiden stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
»Was haben Sie vor?«, fragte Belling, als Lena ihm das Telefon aus der Hand genommen hatte und eine Nummer eintippte.
»Ich werde Volker Drescher informieren.«
Belling blickte sie mit aufeinandergepressten Lippen an. »Sind Sie sicher? Ich meine, es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass uns dieser Drescher mit seinem unfähigen Team …« – »Ob ich sicher bin?«, schnitt ihm Lena mit energischem Tonfall das Wort ab. Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm zur Tür. »Da draußen befindet sich meine Zwillingsschwester zusammen mit einem sieben Monate alten Baby in der Gewalt eines brutalen Serienkillers, und Sie fragen mich, ob ich sicher bin?!«
Belling schluckte und bemerkte plötzlich, dass so ziemlich jedes Augenpaar im Café auf sie gerichtet war.
»Mag ja sein, dass Sie glauben, wir könnten den Fall alleine lösen, aber ich«, sagte sie und schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust, »ich werde nicht riskieren, dass Tamara und das Kind durch einen Alleingang draufgehen.« Wütend lief Lena mit dem Telefon in der Hand aus dem Café, ohne den Blicken, die sie auf sich gezogen hatte, Beachtung zu schenken.
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»Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht so anherrschen«, beteuerte Lena, als sie wenig später noch ganz benommen auf Bellings Beifahrersitz saß.
»Nein, ich muss mich entschuldigen, Sie haben ja recht. Wir können uns jetzt keinen Fehler erlauben.« Er legte seine Hand auf Lenas hagere Schulter und sah sie eindringlich an. »Wird schon gutgehen.«
Lena presste die Lippen fest aufeinander und nickte. Dann startete er seinen Peugeot und schlug den Weg zur Mordkommission ein. Nachdem Lena Volker Drescher am Telefon berichtet hatte, was geschehen war, hatte der ihr bittere Vorwürfe gemacht, ohne sein Wissen an dem Fall weitergearbeitet zu haben. Er hatte sie umgehend auf das Präsidium bestellt, während er unter Hochdruck ein Team des Sondereinsatzkommandos zusammenstellen und für die bevorstehende Lösegeldübergabe fünfzigtausend Euro in bar beschaffen ließ. Lena sah angespannt auf die Uhr. Ihnen blieben exakt zwei Stunden und einundfünfzig Minuten Zeit, um gemeinsam eine Strategie zu erarbeiten, die bei der Übergabe über Leben und Tod entscheiden würde. Lena wusste nur zu gut, welche Gefahren ein derart riskanter Einsatz barg, der nicht selten schiefging. Umso wichtiger war es nun, all ihre Professionalität und ihr strategisches Können zu nutzen, anstatt sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen. Dennoch fragte sie sich, was Artifex mit der Lösegelderpressung bezweckte. Serienmördern ging es niemals ums Geld, so viel stand fest. Kurz fragte sie sich, ob sie es mit einem Nachahmer zu tun hatten. Doch woher hätte dieser Artifex’ Namen kennen sollen? Lena wischte sich die Tränen von den Wangen, als Belling schon nach kurzer Fahrt anhielt. Irritiert richtete Lena ihren Blick aus dem Fenster und wieder auf Belling, als sie begriffen hatte, dass sie vor ihrer Haustür standen. »Was soll das?«
»Haben Sie schon mal daran gedacht, dass der Killer Ihre Schwester möglicherweise mit Ihnen verwechselt hat?«
Lena richtete sich im Sitz auf. »Ja, … durchaus. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
Wulf Belling deutete mit einem Kopfnicken zum Haus. »Holen Sie die Pistole, Sie sollten sie jetzt bei sich tragen.«
Lena starrte ihn an. Doch dieses Mal widersprach sie ihm nicht. Sie stieg aus und ging los, um die Waffe zu holen, während Belling im Wagen sitzen blieb und auf sie wartete.
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Lena eilte durch den Innenhof auf ihre Wohnung zu und verfluchte ihre Tränen, die nun unkontrolliert über ihre Wangen rannen. Verdammt, reiß dich zusammen! Wenn du jetzt die Nerven verlierst,
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