Opfertod
ebenfalls einmal umschauen wollte?« Belling blickte Lena einen Moment lang nachdenklich an. Er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er Volker Drescher auf den Tod nicht ausstehen konnte. Doch nach längerem Nachdenken erschien selbst ihm der Gedanke zu absurd. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Dieser aufgeblasene Zwerg hat doch gar nicht den Mumm, so etwas durchzuziehen«, erklärte er verächtlich. »Aber diesem Semak, dem sollten wir schleunigst einen Besuch abstatten. Was auch immer Drescher in der Galerie zu suchen hat – er wird wohl kaum den ganzen Tag dort verbringen.«
Lena warf einen Blick auf die Uhr. »Geben wir ihm noch etwas Zeit …«
»Wie Sie meinen«, brummte er, während die Kellnerin Lenas Espresso brachte.
»Was ist eigentlich mit den Arbeitskollegen von Suzanna Wirt?«, hakte sie nach. »Konnten Sie da irgendetwas herausfinden?«
»Fehlanzeige«, antwortete er kopfschüttelnd. »Ich habe dort mit so ziemlich jedem Mitarbeiter gesprochen, mit dem Suzanna Wirt bei Cenrat Media zu tun hatte. Offenbar war Suzanna zwar allseits beliebt, aber eng befreundet war keiner mit ihr. Jedenfalls konnte mir keiner von ihren Kollegen sagen, was sie nach Feierabend so getrieben hat und mit wem.«
Lena nippte an ihrem Espresso und sah ihn über den Rand der Tasse hinweg fragend an. »Sonst irgendetwas Neues?«
Belling knibbelte an einem Bierdeckel, als koste es ihn einige Überwindung, die nachfolgenden Worte über die Lippen zu bringen. »Ferdinand Roggendorf – er ist nicht unser Mann«, brachte er zähneknirschend hervor.
Lena runzelte verblüfft die Stirn. »Und was macht Sie da so sicher?«
»Weil ich aus verlässlicher Quelle weiß, dass die Touristin im Monbijou-Park unmittelbar nach der Amputation gestorben ist. Und zwar gestern Nacht gegen kurz nach eins. Und Roggendorf hat für die Zeit ein Alibi.«
»Aha. Ist sein Alibi denn auch wasserdicht?«
Mürrisch schob Belling das Kinn vor. »Ich bin sein Alibi«, kam es ihm widerwillig über die Lippen.
Lena konnte ihm nicht ganz folgen.
»Ich habe ihm gestern Nacht zur besagten Tatzeit aus einem Techno-Club in Friedrichshain kommen sehen«, fügte Belling als Erklärung hinzu. »Also kann er diese Touristin nicht ermordet haben. Da es sich aber offenbar zweifelsfrei um die Tat des berüchtigten Stümmlers handelt, scheidet er wohl oder übel aus dem Kreis der Verdächtigen aus.«
Das erschien Lena durchaus plausibel. Und während Belling noch mit seiner Enttäuschung zu kämpfen hatte, fühlte Lena sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass Ferdinand Roggendorf und Artifex nicht ein und dieselbe Person waren. Sie hatte nicht ausgeschlossen, dass er mit den Morden in Verbindung stand, doch als Täter war er für sie nie in Frage gekommen. Roggendorf passte nicht in das Täterprofil. Nein, diese Morde waren nicht Roggendorfs Kragenweite. Und wenn sie ehrlich mit sich war, war sie ein wenig erleichtert, dass ihr Spürsinn sie nicht im Stich gelassen hatte. Doch eine Sache wollte Lena nicht in den Kopf, und sie konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen. »Und was hatten Sie in einem Techno-Club zu suchen?« Sie unterdrückte ein leicht amüsiertes Lächeln.
Wulf Belling, der sonst für jeden Spaß zu haben war, verzog keine Miene. »Um es kurz zu machen: Ich hatte wieder Ärger mit Marietta. Sie hatte da etwas missverstanden wegen Ihrer Schwester«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Mit Tamara? Sagen Sie jetzt nicht, sie hat schon wieder etwas ausgefressen.« Sie betonte ihre Aussage wie eine Frage, wollte die Antwort aber am liebsten gar nicht erst hören.
»Wie soll ich sagen … Ich hatte sie schon wieder mit einem Joint erwischt«, berichtete er kopfschüttelnd. »Da habe ich ihr mal ordentlich die Meinung gegeigt. Ich war ziemlich in Rage … und … na ja, vielleicht etwas zu schroff mit ihr«, gestand er und zupfte sich am Ohrläppchen. »Plötzlich fing sie an zu weinen. Da tat sie mir leid. Also bin ich hingegangen und habe sie in den Arm genommen.« Er hob die Arme und deutete eine entsprechende Geste an. »Und ausgerechnet dann ist Marietta reingeplatzt. Irgendwie muss sie das wohl in den falschen Hals bekommen haben. Da ist sie ausgeflippt … Sie ist aus dem Haus gerannt, und ich bin ihr hinterher.«
Lena studierte sein Gesicht. »Und dann?«
»Dann bin ich ihr in diesen Techno-Schuppen gefolgt, weil ich dachte …« Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Ach, ist auch ganz
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