Opfertod
ist Tamara und Marcel auch nicht geholfen. Mit zitternden Händen schloss sie auf und lief geradewegs ins Schlafzimmer. Vor der Kommode ging sie in die Hocke und suchte in der untersten Schublade zwischen ihrer Unterwäsche und ihren Nachthemden nach der Pistole. »Komm schon, wo versteckst du dich?« Hastig durchwühlte sie die Schublade, da vernahm sie ein leises Knacken und spürte jemanden hinter sich.
»Hallo, Lena«, hörte sie eine Stimme hinter sich sagen. Lena stockte der Atem. Sie richtete sich auf und drehte sich langsam um. Wie erstarrt blickte sie in die blauen Augen jenes Mannes, der jetzt mit ihrem Kater unter dem Arm in der Tür zum Schlafzimmer stand. In der anderen Hand hielt er ihre Waffe. »Suchst du die hier?« Mit einem jovialen Grinsen fuchtelte er mit der Pistole in der Luft herum. »Und ich dachte schon, ich müsste den ganzen Tag hier auf dich warten, meine liebe kleine Lena.«
Sie zuckte innerlich zusammen und spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten, als sie begriff, wer in diesem Moment vor ihr stand. Artifex.
»Wie sind Sie in meine Wohnung gekommen?«
Er lachte spöttisch, als fasse er die Frage als Beleidigung auf. Und nach einem Blick auf die offenstehende Verandatür wusste Lena die Antwort.
Der Mann setzte Napoleon ab, der sogleich miauend das Weite suchte.
Lena schlug das Herz bis zum Hals. »Mein Partner wartet draußen im Wagen. Wenn ich nicht in einer Minute zurück bin, wird er kommen und nach mir suchen.«
Scheinbar unbeeindruckt kam Artifex auf sie zu. Lena hielt den Atem an und schritt rückwärts auf das Bett zu. Der Mann war gut zwei Köpfe größer als sie. Nur wenn es ihr gelang, an das Messer zu kommen, das sie unter die Matratze gesteckt hatte, hätte sie eine realistische Chance gegen ihn. Mit der Pistole in der Hand kam er weiter auf sie zu – war jetzt nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Als Lena endlich das Fußende des Bettes erreichte, lachte er abermals auf. »Ganz schlechte Idee«, stieß er kopfschüttelnd hervor. Er griff in die hintere Hosentasche seiner Jeans und zog das Messer hervor, nach dem sie gesucht hatte. Lena spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Der Mann war ihr nicht nur körperlich überlegen, sondern hielt jetzt auch eine tödliche Waffe in jeder Hand. Sie saß in der Falle. Lena setzte alles auf eine Karte. Sie schlug einen Haken und rannte wie der Blitz. Doch er war schneller. Artifex packte sie bei den Haaren. Er riss sie zurück und schleuderte sie aufs Bett. Die scharfe Klinge des Messers hatte sie an der Wange erwischt. Ein brennender Schmerz durchfuhr Lenas Gesicht. Ein Schwall warmen Bluts strömte ihr aus der klaffenden Wunde den Hals hinab. In dem Moment, in dem der Mann auf sie zustürzte, rollte Lena sich auf den Rücken und verpasste ihm einen heftigen Tritt. Er taumelte rückwärts und fiel gegen den Schlafzimmerspiegel. Der Spiegel zerbrach in tausend Scherben. Die Pistole fiel zu Boden und schlitterte unter den Kleiderschrank. Benommen hielt sich Artifex den Kopf, und Lena gelang es, sich in den Flur zu flüchten.
»Bleib stehen, du Schlampe!«, hörte sie ihn noch aus dem Schlafzimmer rufen, während sie in einem Wahnsinnstempo über den Flur auf die Wohnungstür zuhastete.
66
Sie hatte die Tür fast erreicht, da spürte sie plötzlich ein irrsinniges Stechen, das von ihrem linken Unterschenkel das Bein hinaufschoss. Ächzend ging Lena zu Boden und krümmte sich vor Schmerz. Ihr Blick schnellte zu dem Messer, das er nach ihr geworfen hatte und das tief in ihrer Wade steckte. Sie biss die Zähne zusammen und zog es sich ruckartig aus dem Fleisch. Das Blut floss unter ihrer Jeans den Knöchel hinab und sickerte auf die Dielen, während ihr bei dem Anblick kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Unter Schmerzen raffte Lena sich auf und humpelte so schnell sie konnte weiter Richtung Tür. Schneller, lauf schneller! Doch ehe sie sich’s versah, hatte Artifex sie eingeholt. Der Mann zwang sie erneut zu Boden, während Lena mit dem blutverschmierten Messer in der Hand unkontrolliert um sich schlug. Doch Artifex trat ihr das Messer aus der Hand. Lena lag auf dem Bauch und versuchte, weiter Richtung Tür zu robben, da warf er sich mit seinen Knien auf ihren Rücken. Lena hatte das Gefühl, unter der Last seines Gewichts zu ersticken, als sie plötzlich sah, dass er eine Spritze in der Hand hielt. Da ertönte das Surren der Türklingel. Sie starrte mit aufgerissenen Augen zur Tür. Belling!
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