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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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damit niedergeschlagen«, erzählte Lena und hatte alles noch genau vor Augen, als wäre es gestern gewesen. »Als die Polizei eintraf, war Sven bereits tot.«
    Wulf Belling schüttelte benommen den Kopf. »Ist … ist sie verurteilt worden?«
    Wie in Zeitlupe nickte Lena. »Obwohl sie aus Notwehr gehandelt hatte, ist Tamara zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden … Das ist eine lange Zeit, besonders wenn man ein kleines Kind hat.«
    Er nickte betrübt. »Mein Gott, das … das wusste ich nicht.«

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    Doch damit war Lenas Erzählung längst nicht beendet. »Ich habe mir damals oft vorgeworfen, meine Schwester all die Jahre über im Stich gelassen zu haben.«
    Er sah sie an. »Aber Sie haben es doch immer wieder versucht.«
    »Aber ich hätte viel mehr tun müssen!« Lena stand die Verzweiflung von damals förmlich ins Gesicht geschrieben. »Und dann, einen Tag vor ihrem Haftantritt, habe ich schließlich den Entschluss gefasst, dass Fabienne nicht ohne ihre leibliche Mutter aufwachsen sollte.«
    Er zog die Brauen zusammen. »Wie meinen Sie das?«
    Lena fixierte sein Gesicht. »Wie Sie wissen, sind Tamara und ich eineiige Zwillinge. Nicht einmal unsere Eltern haben immer hundertprozentig sagen können, wer wer ist.« Sie sah sich kurz um, um sicherzugehen, dass ihnen niemand zuhörte. Dann sagte sie: »Am Morgen des Haftantritts bin ich es gewesen, die die Tore zum Frauengefängnis passiert hat. Ich habe mich als meine Zwillingsschwester ausgegeben und die Gefängnisstrafe für sie abgesessen.«
    Vollkommen sprachlos starrte Belling sie mit leicht geöffnetem Mund sekundenlang an, als versuche sein Gehirn zu verarbeiten, was Lena ihm soeben anvertraut hatte. »Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, entfuhr es ihm, noch immer ganz perplex. Eine längere Pause entstand. Noch immer ihren Gedanken nachhängend, stellte Lena den Zuckerstreuer wieder zurück. Wann immer sie konnte, hatte sie sich damals in Fachliteratur über Kriminologie vergraben.
    Und wenn ihr Aufenthalt im Gefängnis überhaupt etwas Gutes gehabt hatte, dann war das die Tatsache, dass sie als Mitinsassin die Denk- und Vorgehensweise von Kriminellen hautnah hatte studieren können und sich somit einzigartige Insiderkenntnisse als Profilerin angeeignet hatte. »Das … das war ganz schön selbstlos von Ihnen«, sagte Belling in das entstandene Schweigen und blickte sie mit warmherzigen Augen an. »O Mann, Sie sind echt in Ordnung, Peters.«
    Lena lächelte und spürte, wie sie errötete. Doch schon kurze Zeit später verflüchtigte sich ihr Lächeln. »Aber kein Wort zu niemandem, in Ordnung?«, flüsterte sie leicht vorgebeugt. »Wenn herauskommt, dass ich im Gefängnis war, wird mich das meine Zulassung kosten.«
    »Äh, ja – natürlich. Meine Lippen sind versiegelt.«
    Sie lächelte zufrieden. Wulf Belling mochte seine Fehler haben, doch er war ein herzensguter Kerl.
    Zudem war er vertrauenswürdig, und Lena war sich ganz sicher, dass ihr Geheimnis bei ihm gut aufgehoben war. Lena trank ihren inzwischen kalt gewordenen Espresso aus und hatte die Tasse noch nicht wieder abgestellt, da kündigte Bellings Handy einen Anruf an.
    »Das wird sicher Tamara sein«, sagte er erleichtert. Mit den Worten »Würde mich nicht wundern, wenn sie bereits zu Hause vor verschlossener Tür steht«. Er nahm das Gespräch an.
    Doch dann wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Er starrte mit aufgerissenen Augen zu Lena, während seine Lippen einen Namen formten. Lenas Puls schoss in die Höhe, als sie schlagartig begriff: Artifex!

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    Lenas Herz raste. Sie sprang auf und stellte sich dicht neben Belling, um das Gespräch mit anzuhören. »Was wollen Sie?«, fragte Belling.
    »Haben Sie Ihre kleine Freundin in den letzten vierundzwanzig Stunden gesehen?« Es war dieselbe Vocoder-Stimme.
    »Was … was soll die Frage?«
    Plötzlich drangen erstickte Schreie aus dem Handy. Belling und Lena blickten einander an. Beiden schoss ein und derselbe Gedanke durch den Kopf: Tamara! Und das Baby!
    Lena schlug vor Entsetzen die Hände vor das Gesicht und spürte, wie ihr Herzschlag gefror. Und während sie versuchte, gegen die aufsteigende Panikattacke anzukämpfen, erschien ihr das überfüllte Café mit den herumwuselnden Kellnerinnen und dem Geklapper von Geschirr für die Dauer eines Augenblicks kilometerweit entfernt.
    »Um Himmels willen! Lassen Sie sie gehen!« Bellings Stimme überschlug sich.
    Abfälliges Gelächter drang aus dem Handy.
    »Mein Gott,

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