Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opium bei Frau Rauscher

Opium bei Frau Rauscher

Titel: Opium bei Frau Rauscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
Vom Netzwerk:
sich das nicht sagen, zu grau und regenverhangen hatte sich der Himmel den ganzen Tag über präsentiert –, als Herr Schweitzer schon beim ersten Passieren des Grundstücks Lola durch das Verandafenster erblickte. Mit der Jeans und dem blaukarierten Holzfällerhemd hätte man sie durchaus für einen Mann halten können.
    Geschickt hatte sich Herr Schweitzer auf dem zum Verkauf stehenden Nachbargrundstück hinter einer großen Tanne versteckt, so daß ihn kein zufällig vorbeikommender Passant entdecken konnte. Diese Sorge sollte sich als unbegründet erweisen, kein Mensch war bei diesem ungemütlichen Wetter unterwegs. Selbst Hundehalter gingen mit ihren Vierbeinern gerade mal an den Straßenrand vor ihrer Haustür. Trotz Parka, Pullover und Schal fror Herr Schweitzer jämmerlich. Einige Male hatte er Lola schon im Visier gehabt, doch immer war sie nur ganz kurz am Fenster stehengeblieben. Dann erschrak er ob eines Raschelns in seiner Nähe. Wahrscheinlich ein Vogel oder eine streunende Katze, sagte er sich.
    Nach einigen Minuten enervierender Warterei zeigte sich Jürgen Sikora mit nacktem Oberkörper. Mit seiner dichten Brustbehaarung ließ er keinen Zweifel daran, wer von den beiden den männlichen Part ihrer homosexuellen Beziehung innehatte. Der Juwelier ging unentwegt auf und ab. Offenbar unterhielten sich die beiden über ein ernstes Thema.
    Und dann endlich klappte es. Mit vor der Brust verschränkten Armen blieb Lola nur wenige Zentimeter vor dem Fenster stehen. Gedankenverloren sah sie in den Garten, den sie nur als verschwommene Silhouette oder als Schattenspiel wahrnahm. Dies war der Moment des Herrn Schweitzer. Mehrere Male betätigte er den Auslöser. Dann war Lola wieder verschwunden. Sofort überprüfte Herr Schweitzer die gemachten Aufnahmen, was sich als sehr schwierig gestaltete, der unaufhörliche Regen sorgte weiterhin für Verdruß. Erst als Herr Schweitzer die Kapuze seines Parkas als Schutz benutzte, konnte er etwas sehen. Mehr als deutlich blickte ihm Lola aus dem kleinen Rechteck entgegen. Er war sehr zufrieden mit sich.
    Das schwache Motorengeräusch eines direkt vor dem herrenlosen Grundstück anhaltenden Autos ließ ihn aufhorchen. Mit flauem Magen bog Herr Schweitzer ein paar schwere Äste herunter. Ausgerechnet jetzt, dachte er, als er auch schon Sabine Sikora ihrem Benz entsteigen sah. Ein kurzes Erschrecken seinerseits, dann hatte er sich wieder im Griff. Aufmerksam beobachtete er ihre Schritte. Zielsicher steuerte sie Lolas Wohnung an. Ups, dachte daraufhin Herr Schweitzer, das kann ja heiter werden.
    „Verfluchter Mist“, hörte er Sabine fluchen. Mit ihren Absätzen hatte sie Schwierigkeiten mit der aufgeweichten Erde zwischen den Gehwegplatten. Sie bückte sich, und Herr Schweitzer konnte sie hinter dem kleinen Mäuerchen nicht mehr sehen. Ihre Schuhe nun mit den Händen tragend kam sie alsbald wieder zum Vorschein.
    Das Klingeln ging im Plätschern der Regentropfen unter. Lola erschien unter der Lampe, die den Eingang beleuchtete. Sabine stürzte an ihr vorbei ins Haus. Der Travestit schaute entgeistert hinterher.
    An seinen fünf Fingern konnte sich Herr Schweitzer ausrechnen, daß es gleich fürchterlich abgehen würde. Obschon er sich dagegen sträubte, übermannte ihn die Neugier. So behende, wie es seine Leibesfülle zuließ, kletterte er über das kleine Mäuerchen. Moos und Schmutz blieb an seinen Händen kleben. Nur mit Mühe gelang es ihm, nicht auf dem matschigen, mit dem Laub des letzten Herbstes bedeckten Boden auszurutschen. Hinter einem Zierbrunnen fand er Zuflucht. Die Balustrade der Veranda beeinträchtigte seine Sicht kaum.
    Herrn Schweitzer blieb fast das Herz stehen, als er Sabine mit einem Revolver in der rechten Hand im hervorragend ausgeleuchteten Wohnzimmer stehen sah. Oh nein, dachte er, die wird doch nicht …
    Instinktiv tastete er nach der Kamera. Den Schalter für den Videomodus kippte er nach links. Außer Sabine war niemand zu sehen. Aus dem wilden Revolvergefuchtel ließ sich ihr Gemütszustand ablesen. Sie mußte sehr, sehr wütend sein.
    Vor lauter Schreck vergaß Herr Schweitzer, das Zoom einzustellen. Mit klammen Fingern ertastete er den Auslöser. Ein blinkendes grünes Lämpchen signalisierte Aufnahme.
    Im linken Bildrand erschien nun Jürgen. Doch anstatt mit erhobenen Händen, wie man es ob der von dem Schießeisen ausgehenden Bedrohung wohl hätte erwarten dürfen, ging er mit ausgestreckten Armen, als fordere er die Herausgabe des

Weitere Kostenlose Bücher