Opium bei Frau Rauscher
Eichkatzerls war unmöglich zu ignorieren.
Vom Handkäs mußte er stets pupsen, vom Rippchen mit Kraut rülpsen. Beides erledigte Herr Schweitzer so geräuschlos als irgend möglich. Obschon ein paar Leute da waren, die er mehr oder weniger flüchtig kannte, hatte er mit Bedacht einen leeren Tisch gewählt. Da saß er nun, und sein zweites Glas Tiefgespritzter lächelte ihm zu. Hier wollte er so lange bleiben und trinken, bis der Gott der Weisheit ihm irgendeine Idee eingeben würde, wie’s nun weiterging mit dem wirren Sikora-Fall. So, wie bisher, konnte man ja nicht unbedingt behaupten, es sei eine Struktur zu erkennen. Von Helmut, dem Mundschenk, ließ er sich Block und Kugelschreiber bringen.
Und dann fing er ganz von vorne an. In Laos. Dort, wo ihm Jürgen das erste Mal begegnet war. Auf der Veranda seines Bungalows in Vang Vieng. Bedauerlicherweise fehlte ihm die Erinnerung daran gänzlich. Diverse Joints und jede Menge Alkohol hatten für einen Filmriß der ersten Kategorie gesorgt. Unweigerlich gedachte er dem Crailsheim-Harald, der ja auch mit von der Partie gewesen war. Schade, daß er dessen Nachnamen nicht wußte, sonst hätte er im Telefonbuch seine Nummer eruieren und mit ihm reden können. Eventuell fiel ja an besagtem Abend eine Bemerkung von Jürgens Seite, die irgendeinen noch so kleinen Hinweis in sich barg. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er, Herr Schweitzer, nach bewährtem Rezept durch die Sachsenhäuser Devise Immer horche, immer gucke zu einer Lösung gelangte.
Das Wiedersehen in Vientiane jedenfalls war noch frisch in Erinnerung. Er ließ den Film in seinem Kopf ablaufen. Sogar die bunten Glühbirnen des Restaurants am Mekong sah er leuchten. Und der Kellner, im Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft war auch wieder da. Jürgen, der Mann von Welt, der große Zampano, obwohl Anthony Quinn das einst besser hinbekommen hatte. Sabine, das graue unscheinbare Mäuschen, ihrem Gatten hörig, und ganz anders als ihre Darbietungen in heimatlichen Gefilden. Nein, da war nichts, was eine Spur hätte sein können. Leider.
Beim dritten Glas des Göttertrunks kam Herrn Schweitzer Marias philosophisch angehauchter Ausspruch „Wenn alle um die Ecke denken, so ist die Gerade eckiger als das Um-die-Ecke-Denken“ wieder in den Sinn. Doch wie ließ er sich anwenden? Wo mußte der Hebel angesetzt werden?
Er probierte es einfach mal. Es gab keine Leiche, keine Schmauchspuren an Sabines Kleidung, es wurden keine Patronenhülsen am Tatort gefunden, und die Pistole war auch verschwunden. Okay, eine Blutlache war vorhanden, und die Tatwaffe war auf seinem Video zu erkennen. Aber die Leiche sowie die Hülsen … Was, wenn weder das eine noch das andere tatsächlich existierte? Alle Welt sucht zwar danach, doch alle Welt sucht seit Menschengedenken auch nach dem Sinn des Lebens. Und nach Gott. Bislang ohne Erfolg. Lange kann man nach etwas suchen, was es nicht gibt, noch nie gegeben hat. Und sollte es sich in der Tat so verhalten, wie jetzt mal theoretisch angenommen, dann, ja dann konnte es nur eines bedeuten, nämlich, daß die komplette Szene extra für ihn arrangiert worden ist. Herr Schweitzer bestellte noch einen Schoppen.
Er konnte es selbst nicht glauben, erachtete die Lage als hoffnungslos. Das waren doch bloß Phantastereien, sagte er sich. Trotzdem hatte er kaum eine andere Wahl, weil die komplette Ermittlungsarbeit ja bei der Polizei in guten Händen war. Wollte er, Herr Schweitzer, Sachsenhausen mit einem Erfolg verblüffen, mußte er andere Wege gehen als Staatsanwaltschaft und Kripo. Also verbiß er sich in die Vorstellung, alles sei explizit für ihn in Szene gesetzt worden. Und allsogleich war er beim Versicherungsbetrug. Eine Million Euro lautete die Summe. Dafür nahm man gerne eine paar Unannehmlichkeiten auf sich. Er versetzte sich in Sabines und Jürgens Lage. Angenommen, sie brauchten die Moneten dringend, der Gründe konnte es viele geben, schlechte Wirtschaftslage, Spielschulden, Geldgier und so weiter, hätten sie es sich dann nicht einfacher machen können? Jürgen taucht unter, Blut wird auf dem Teppich verschmiert, mein Gott, ein kleiner Schnitt in die Pulsader, ein Liter, vielleicht etwas mehr, davon stirbt doch keiner, der Hausbesitzer kehrt von seiner Reise zurück und geht dann sofort zur Polizei, als er das Blut entdeckt, und Sabine meldet ihren Gatten als vermißt, wartet die gesetzliche Frist ab, bis Jürgen für tot erklärt wird – eine Leiche
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